Gewaltfreie Kommunikation, Coaching, Mediation in Hamburg.

Was schön war: für Menschlichkeit, Freiheit und Vielfalt. Gegen Ausgrenzung, Gewalt und Hass.

Interessanter Weise las ich von der Correctiv Recherche zunächst in der internationalen Presse, im Guardian. Im Blog des Herrn Buddenbohm wurde auf den Artikel verwiesen, auch die Le Monde erwähnte er. Ich durchforstete an dem Morgen die nationale Presse ein wenig und fand: nichts. Mein Entsetzen war groß und doppelt: wegen des Inhalts und wo waren die Artikel in den nationalen Zeitungen? Erst sehr viel später am Tag, abends und dann am nächsten Morgen endlich auch in den deutschen Zeitungen.

Mein erster Gedanke war: ich muss was tun. Und gleichzeitig diese Ohnmacht: was kann das sein? Das darf doch alles nicht wahr sein, da müssen wir was machen, das geht so nicht, ich will das anders. Was kann eine einzelne Person ausrichten? Sich, ganz greta-mäßig jeden Freitag mit einem Pappschild vor das Rathaus stellen? Für Freiheit, Menschlichkeit, Vielfalt – gegen Ausgrenzung, Antisemitismus, Gewalt. Vermutlich hätte ich irgendwann genau das gemacht. Es war so klar und deutlich: ich will was tun.

Doch dann kam alles anders.

Zunächst kam die Enttäuschung: am Sonnabend und damit einen Tag zu spät erfuhr ich, dass sich 2000 Menschen in Hamburg zum Demonstrieren versammelt hatten: gegen rechte Gewalt. Ich recherchierte und fand keine zentrale Anzeigenstelle der Stadt Hamburg, wo man einsehen kann, welche Demos genehmigt worden waren für die nächsten Tage. Also selbst schauen, immer wieder.

Am Dienstagnachmittag dann schickte mir eine Freundin den Link zu einem Demonstrationsaufruf für Freitagnachmittag von der Elphi, ich möge den doch mal verifizieren. Konnte ich: in kürzester Zeit sah ich, dass sehr viele Hamburger Kultureinrichtungen, Gewerkschaften, Glaubensgemeinschaften, Parteien, Initiativen zur Demonstration aufriefen. 

Endlich. Gleich in den Kalender eintragen, gleich mal weiter verteilen. Nichts wie hin.

Tags darauf dann auch der Aufruf im Newsletter der Kirchengemeinde und wer sich treffen will, vorher hier in Rahlstedt, wir könnten gemeinsam hinfahren. Sehr gut.

Freitagnachmittag dann nasse dicke Schneeflocken, rutschige Wege. Egal. Grüne Jacke, rotbunte Mütze, gestreiftbunter Schal: Hauptsache nicht grau, schwarz oder braun. Das nicht. Bunt sollte es sein für mich.

An der Bushaltestelle hier am Stadtrand stand eine ältere Dame, deutliches Rentenalter, schlauerweise mit Schirm. Sie sprach mich an, ob ich da hinwolle wo sie auch hinwolle; nur das sagte sie. Ich antwortete, ich hoffe das doch und sie meinte, sie hätte sofort gewusst, dass ich auch zur Demo wolle. Keine Ahnung warum, ich hatte noch nicht einmal ein Pappschild dabei. Sie ist Österreicherin, wir sprachen miteinander, es war ein gutes Gespräch. Sie teilte irgendwann, was sie manchmal hören muss von Menschen, weil sie als Österreicherin in Deutschland lebt. Dass da vor 100 Jahren einer war, der auch Österreicher war und das Grauen, was dann passierte mit diesem Land. 

Menschen können so dumm sein, so fassungslos dumm. Was haben Nationalitäten damit zu tun?

Aber auch das ist klar: wer immer weiter nach links geht, kommt irgendwann rechts wieder raus. Und der Extremismus beider Enden, sowohl links als auch rechts, der ähnelt einander doch sehr.

Wir waren so bummelige 15 Leute, eher jüngere Menschen, aus Rahlstedt, die sich trafen. Auch das überraschte mich, wo es doch so viele Rentner.innen gibt hier in diesem Stadtteil.

Die Regionalbahn leicht verspätet, dafür sehr voll. Also für einen Freitagnachmittag im Januar, mit Kälte, Schnee und Nässe, erstaunlich voll. Der Schaffner sagte, er kontrolliere nicht mehr, es sei so voll, er habe alle Schwarzfahrer aufgefordert auszusteigen, das müsse heute einmal reichen. Es war eine gelöste Stimmung, eine gespannt-freudig-erwartungsvolle Atmosphäre im Zug. Am Hauptbahnhof mochte ich dann auf niemanden mehr warten, meine Füße wollten los  und konnten nicht mehr warten, ich war ungeduldig. So zog ich direkt und allein weiter, kannte ich doch niemanden von den Rahlstedtern. Sie wollten in den Kinder- und Familienbereich der Demo, ich war überrascht, dass es so etwas gibt und man sich im Vorhinein erkundigen kann, wo welcher Bereich ist. Wieder etwas gelernt. 

Es war voll, sehr sehr voll. Die Menschen strömten und alle in eine Richtung. Es war kurz vor 15.30h, ich war spät dran, es hatte gerade angefangen. Alle eilten sie Richtung Jungfernstieg und Binnenalster. Ich bog direkt durch die kurzen und langen Mühren ab Richtung Ballindamm und wollte dort entlang gehen. Die Straße war abgeriegelt für den Verkehr, es war alles voller Menschen. Auf der anderen Alsterseite, am neuen Jungfernstieg drüben sah ich, dass die Menschen bis zur Kreuzung standen oben Richtung Bahngleise. Und dann war ich im Getümmel. Mittendrin und doch immer noch am Rand. Wir standen dicht an dicht am Ballindamm, ich schob mich langsam voran, immer weiter, vielleicht kam ich ja nahe genug heran um etwas zu hören. In dem Fall gut, dass ich allein war und auf niemanden warten oder aufpassen musste.

Es war freundlich, es war ernst, es war bunt. 

Alle Altersstufen waren vertreten: jemand schob seine Oma, jemand anderes seinen Opa im Rollstuhl umher, viele andere einen Kinderwagen. Menschen mit Rollatoren, Menschen allein, Menschen in Gruppen. es war, als seien alle gekommen. Ich sah Transparente des Thaliatheaters, von Hanseatic-Help, von „der-Hafen-hilft“, den Grünen, den Linken, Omas gegen rechts, fck-nzs Aufkleber noch und noch. Einer trug ein großes Plakat „eat nachos hate fachos“. Es gab Plakate in allen Größen, allen Farben, auch in anderen Sprachen. Ein paar Menschen kamen mir entgegen, manchmal hängte ich mich an einen Strom nach vorn und ließ mich mitziehen, manchmal blieb ich eine Zeit lang stehen. Immer wieder „wir sind mehr“, lautes Rufen. Einmal ergänzte ich ein „und lauter“ hinterher, eine Frau neben mir grinste mich an. Von den Reden und Kundgebungen konnte ich nichts hören. Es war zu weit weg oder ungünstige Lautsprecherausrichtung oder was weiß ich. Es war egal. Wichtig war, da zu sein, klar und nicht allein zu sein und Stellung zu beziehen. Irgendwann, da waren es nur noch 140m oder so bis zur Europapassage , kam ein Rettungswagen entgegen. Es war schwer, doch wir haben es geschafft, wir riefen einfach „Rettungsgasse“ und dann hatten es bald alle kapiert und wir machten Rettungsgasse, standen in den Sträuchern und zwischen Zweigen. Ich konnte Gesang von der Bühne vernehmen, Stefan Gwildis sang von einer Hand voll Liebe und das war ich das einzige, was ich von der Bühne hörte. Den Hass-Parolen, dass ganz Hamburg die AFD hasse, konnte ich mich nicht anschließen. Hass hilft uns nicht weiter und macht uns gleich mit dem, was wir eigentlich verurteilen. Das „Wir sind mehr“, das rief ich sehr laut mit. Und manchmal einfach mit applaudieren ohne hören zu können, was es war, dem wir zustimmten. Wird schon das richtige gewesen sein: keinen Extremismus, gegen Faschismus, gegen Ausgrenzung, gegen Gewalt. Hamburg steht auf.

Und dann sagte plötzlich jemand, der mir entgegen kam: es wurde abgebrochen, 130.000 Menschen, Sicherheitsgründe, es sei gerade durchgesagt worden. erst dachte ich: kann ich dem glauben schenken? Ist es eine „Gegenströmung“ oder so? Er trug eine St-Pauli-Mütze und ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand, der für Pauli ist, gegen solch eine Demo ist. Also glaubte ich ihm, und drehte mit um. Gab es später an die Menschen weiter, die da noch standen. Wir standen dann rum, guckten in die andere Richtung, doch es ging nicht vor und nicht zurück. Wenn jemand in Panik ausgebrochen wäre – dann gute Nacht. An der Häuserseite des Ballindamms fuhren Rettungswagen und ein Feuerwehr-Kranwagen Richtung Bühne. Es ging schrittweise, eine Frau neben mir wollte zur Arbeit, aber da würde sie wohl zu spät kommen an dem Abend.  Irgendwann wurde es mir eng und ich stapfte durch das Beet mit den Sträuchern, die leider Dornen hatten. Aber das war besser als in der Enge schwer Luft zu bekommen. 

Wieder auf dem Weg zum Bahnhof. Plötzlich sprach mich eine Frau an, dass sie mich aus der Rahlstedter Kirche kenne und ich weiß gar nicht, mit wem sie mich verwechselt, so oft bin ich gar nicht in der Kirche. Aber sie ist auch aus Rahlstedt, wir stellten einander vor und gingen zusammen zum Bahnhof. So kann es gehen, wir tauschten später im Zug Kontaktdaten aus, und folgten dem Strom zum Bahnhof. Der Mann am öffentlichen WC in einer Einkaufspassage machte vermutlich das Geschäft seines Lebens, er kam mit Wechselgeld herausgeben nicht mehr hinterher. Egal. Der Zug war voll, sehr sehr voll. Den Rahlstedter Bahnhof habe ich selten so dicht gepackt mit Menschen erlebt wie an dem Abend.

Und wie viele es letztendlich auch waren: die Polizei sprach von mehr 50.000 Menschen, die Organisatoren von 130.000 Menschen. Die gesamte Hamburger Innenstadt war voll, die Menschen standen um die Binnenalster und in die Seitenstraßen hinein. Wir waren viele. Und diese Demo frühzeitig abbrechen zu müssen aus Sicherheitsgründen, weil wir so viele waren, wo doch für 10.000 angemeldet worden war. Das war dann ein guter Grund.

Welch ein gelungener Tag. Das war schön.


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