Gewaltfreie Kommunikation, Coaching, Mediation in Hamburg.

Mobbing im agilen Kontext

Ich schreibe diesen Artikel, um auf ein Problem aufmerksam zu machen, welches mir immer wieder in vielerlei Kontext seit langer Zeit begegnet: Mobbing. Dieser Artikel ist vielleicht der erste einer ganzen Serie zum Thema „wie gehen wir miteinander um“. Ich möchte hiermit Bewußtsein schaffen, möchte zum Nachdenken anregen, zu Wachsamkeit und offenen Worten auffordern. Es ist auch eine erste Antwort auf meine Frage ganz am Ende des Artikels.

Ich habe meinen beruflichen Hintergrund ja nun in der Software-Entwicklung. Dort habe ich meine Ausbildung gemacht und war ca. 15 Jahre in allen erdenklichen Rollen in Softwareentwicklungsprojekten beteiligt. Seit ca. 5 Jahren bin ich nun als Trainerin und Coachin unterwegs und habe nun so immer noch viel mit Software-Entwicklung zu tun; ich komme als Trainerin und Coachin sehr viel rum. Der aktuelle Trend in der Branche ist immer noch Agilität, Scrum, und natürlich in dem Zusammenhang das Thema Selbstorganisation des Teams. Das Stichwort Selbstorganisation begegnet mir auch sonst an vielen Stellen, nicht nur bei Softwareentwicklungs-Projekten. Von allen erdenklichen Arbeitsteams in allen möglichen Branchen wird Selbstverantwortung erwartet und gefordert, manchmal vom Team selbst, manchmal von Vorgesetzten, die dazu auffordern, „endlich mal Verantwortung zu übernehmen“.
Und da ist noch ein Stichwort, dass mir immer wieder begegnet, sei es weil ich von Situationen höre, in denen sich Personen in Mobbing Situationen befinden. Oder sei es, weil ich mich selbst in Situationen befinde, die mich massiv an selbstgemachte Erfahrungen erinnern, die ich inzwischen und nach allem, was ich heute weiß und durchgestanden habe, nur mit Mobbing bezeichnen kann. Und ich meine hier tatsächlich Mobbing so, wie es auch die Fachliteratur versteht. Ich meine keine einzelnen Konflikte, die immer und überall auftauchen und gelöst werden können von den Konfliktbeteiligten. Sondern ich meine das gezielte Fertigmachen von Menschen, die wehrlos, ohnmächtig und häufig in einer Abhängigkeitssituation sind. Und es geht mir hier nicht um Schuldzuweisungen. In Mobbing-Situationen gibt es nie nur einen Schuldigen oder eine Schuldige. Es ist immer ein System, welches Mobbing ermöglicht. Und meine Beobachtung ist: gemobbt wird ganz häufig von Menschen, die Angst haben und denen oft keine andere Strategie einfällt als das zu tun, was sie eben tun. Und es ist immer ein System, welches das ermöglicht.

Und hier kommt nun meine erste These: Agil arbeitende Projekte und Organisationen, die Selbstorganisation und -verantwortung fordern, sind viel viel anfälliger für Mobbing als klassische Organisationsformen. Meine Behauptung ist: Wo Selbstorganisation und Selbstverantwortung eines Teams gefordert wird, fehlen Möglichkeiten der Unterstützung und Wege der Eskalation. Es ist viel leichter, sich als Vorgesetzter aus der Affaire zu ziehen. Es ist viel leichter zu sagen, es sei ein Problem des Teams, oder es sei ein Problem des einzelnen, der sich in der gemobbten Situation befindet. Schnell fallen Sätze wie „das muss das Team regeln“ und „organisiert euch selbst“. Nun ist Mobbing aber eine Situation, die nie von einem einzelnen und in der Regel auch nie von einer Gruppe von Mitarbeitern beseitigt werden kann. Es braucht immer ein klares Bekenntnis von oben, von der Führung der Abteilung, des Bereichs, des Unternehmens, dass Mobbing unerwünscht ist. Es braucht, um Mobbing zu beseitigen, Interventionen, die das gesamte System betreffen. In dem Moment, wo Mitarbeiter keine Eskalationswege haben, sei es weil sie ihre Vorgesetzte nicht mehr räumlich oder zeitlich erreichen, sei es weil sie mehrere Vorgesetzte haben oder sei es einfach wegen Verharmlosung, sind nachhaltige Systeminterventionen nicht möglich. Vorgesetzte sind nicht greifbar oder haben kein Bewußtsein für die Situation; und ein Mitarbeiter, der sich in solch einer psychisch belasteten Situation befindet, kann nicht mehr viel Anstrengungen unternehmen, um an seinem Umfeld etwas zu verändern. Was es braucht, sind klare, deutliche und offene Bekenntnisse zu den Werten der Abteilung, des Bereichs, des Unternehmens. Was es braucht, sind klare Bekenntnisse zu der Verantwortung, die wir als Menschen haben. Und das umfasst auch die Verantwortung dafür, dass Menschen, die sich z.B. aufgrund ihres Angestelltenverhältnisses in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden, einem Schutz unterliegen. Es gibt eine Fürsorgepflicht. Und jetzt kommen nochmal die Vorgesetzten und Führungsetagen ins Spiel: es gibt auch eine Vorbildfunktion. Von einem wirtschaftlichen Schaden, den Mobbing anrichtet, spreche ich nicht, das können gern andere tun.

Die nächste These von mir: Organisationen, die sich in einem Veränderungsprozess befinden, sind für Mobbing viel anfälliger als stabile Organisationen. Veränderungsprozesse bringen Unsicherheiten und Ängste der einzelnen Beteiligten mit sich. Es kann jeder sein: Vorgesetzte, die Angst um ihre Positionen haben aufgrund von Unstrukturierungen und Mitarbeiter, die Konkurrenz wittern und Angst um Posten und Job haben. Sie finden oft keine anderen Wege, als vermeintliche „Gefahren“, die sie in Mitarbeitern und Kollegen wittern, durch Mobbing abzuwehren. Niemand nimmt sich bewußt vor zu mobben. Er oder sie weiss einfach keinen anderen Weg und handelt in Ausnahmesituationen (Angst) mit Angriff. Solche Muster sind in unserem limbischen System verankert und nichts anderes als chemische Reaktionen. Nüchtern betrachtet ein nachvollziehbarer Prozess. Für die Betroffenen ist es die Hölle. Und ein Mobbing hat immer mindestens 2 Opfer: der, der gemobbt wird und der, der mobbt. Letzterer ist ein Opfer seiner Angst. Verlieren werden sie bei Mobbing alle. Wenn es gut geht, geht nur der Job verloren. Wenn es schlecht geht, dann steht die Gesundheit auf dem Spiel.
Was tun Sie gegen Mobbing in ihrem Umfeld, in ihrer Rolle?

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