Gewaltfreie Kommunikation, Coaching, Mediation in Hamburg.

Bestrafende vrs. beschützende Gewalt

Wir unterscheiden in der Gewaltfreien Kommunikation zwischen 2 grundsätzlichen Arten von Gewalt. Da ist einmal die bestrafende Gewalt. Bestrafende Gewalt meint jede Form von Gewalt – in Worten, physisch oder psychisch – die darauf ausgelegt ist, jemand zu bestrafen, weil wir glauben, dass diese Person etwas falsch gemacht hat. Bestrafende Gewalt ist also immer mit Sanktionen behaftet. Diese Bestrafung hat immer etwas damit zu tun, wie wir glauben wie die Welt, eine andere Person, eine Gruppe, ein Unternehmen, ein System sein sollte. Und wenn die erlebte Wirklichkeit das dann nicht ist, dann ergreifen wir „Maßnahmen“, damit sich das ändert. Beispiele hierfür sind: Fernsehverbot für Kinder, weil sie ihr Zimmer nicht aufgeräumt haben; Kontaktabbruch zur guten Freundin, weil sie zum wiederholten Male nicht das getan hat, was wir erwarteten; kein Sex, weil PartnerIn (schon wieder) nicht zugehört hat und für einen da; „Abstellplatz“ für einen Mitarbeiter, weil er die Leistung nicht bringt, die erwartet wird; Austritt aus der Gruppe, weil man immer nur gibt aber nichts zurück bekommt; Abmahnung, weil Mitarbeiter den Anweisungen nicht gefolgt hat; Lästern und Behauptungen aufstellen über eine Person, weil sie nicht das tut, was wir wollten, …. und und und. Die Liste ist endlos und voller „Alltäglichkeiten“.

Vielleicht werden Sie sich jetzt wundern und fragen: all das soll Gewalt sein? Keines dieser Beispiele fügt einer anderen Person körperlichen Schaden zu, wie kann das Gewalt sein? Ja, es ist Gewalt. Immer, wenn wir wollen, das eine andere Person oder eine Gruppe von Personen Dinge tut, die sie nicht aus freiem Willen tun wollen, und wir versuchen diese Person oder diese Gruppe gegen ihren Willen dazu zu zwingen, diese Dinge zu tun, dann wenden wir Gewalt an. Und wenn es dabei nicht um Leib und Leben geht sondern weil wir selbst glauben, wir wüssten, wie es richtig geht, und wenn wir dann unseren Willen durchsetzen wollen ohne die Bedürfnisse der anderen Person zu berücksichtigen, dann wenden wir eine bestrafende Form von Gewalt an. Das „gewaltfrei“ in der Gewaltfreien Kommunikation bezieht sich genau auf diese Form der Gewalt. In der Gewaltfreie Kommunikation versuchen wir frei von bestrafender Gewalt zu sein.

Gibt es in der Gewaltfreien Kommunikation wirklich gar keine Gewalt?

(c) Christel Sohnemann
(c) Christel Sohnemann

Ganz so einfach ist es nicht. Wir unterscheiden in der Gewaltfreien Kommunikation die bestrafende von der beschützenden Gewalt. Auch in der beschützenden Gewalt zwingen wir eine Person, dass sie das tut, was wir wollen und setzen uns für einen Augenblick über die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse hinweg. Wir tun das jedoch einzig und allein zu einem Zweck: Leib und Leben dieser Person zu schützen. Beispiele hierfür sind: eine Frau, die ihren schwer verletzten Mann mit einem Rettungswagen in eine Klinik schickt, obgleich er nicht ins Krankenhaus will; ein Erwachsener, der ein spielendes Kind an sich reißt, weil das Kind der Straße mit schnell fahrenden Autos gefährlich nahe kommt. Beschützende Gewalt wenden wir dann an, wenn es keine Zeit mehr ist für Worte und Gespräche, wenn es schnell gehen muss und eine Notsituation vorliegt.

Dies ist ein weiterer Artikel in der Serie „Schlüsselunterscheidungen der GFK“. Dieses Mal zum Thema „bestrafende vrs. beschützende Gewalt“. Die Serie wird fortgesetzt.

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Kommentare

2 Antworten zu „Bestrafende vrs. beschützende Gewalt“

  1. Avatar von Markus Castro

    Hallo Christel,
    ein schöner Artikel über eine der wie ich finde am schwersten zu differenzierenden Schlüsselunterscheidungen.

    Ich würde deinen Artikel noch um zwei Punkte ergänzen:
    – Es mag nicht nur um den Schutz dieser Person gehen, sondern auch um den Schutz anderer Menschen. Beispielsweise würde ich nicht wollen, dass jemand frei herumläuft, der anderen Menschen nach dem Leben trachtet. Solange dieser Mensch also nicht bereit ist, sich an die Regeln der Gemeinschaft zu halten würde ich ihm die Freiheit entziehen.
    – Die Beurteilung, ob etwas lebensbedrohlich ist, treffe ich für jemand anderen – bin mir also bewußt, dass ich damit voll daneben liegen kann. Ich kenne den Ausgang nicht, kümmere mich also in Wahrheit um meine eigenen Bedürfnisse nach beitragen und Fürsorge, nicht um seine. Der Unterschied ist für mich wichtig, weil sich sonst wieder sehr viel Gewalt rechtfertigen ließe mit „es ist doch nur zu seinem Besten“. Mit diesem Argument wurden in Psychiatrien unglaubliche Greueltaten begangen…

    Lieber Gruß,
    Markus

    1. Avatar von Christel

      Hallo Markus,
      danke für die wichtigen Ergänzungen.
      Das mit dem Gemeinschaftswohl ist sicherlich ein sehr wichtiger Aspekt. Dennoch ist mir wichtig, die Argumentation „es geht um Leib&Leben“ (die Du in Deinem Beispiel ja auch indirekt erwähnst) noch einmal herauszustellen. Denn auch mit der Argumentation „zum Wohle der Gemeinschaft“ sind vor 70-80 Jahren unvorstellbare Greueltaten passiert.
      Es ist in der Tat eine sehr schwierige Schlüsselunterscheidung. Für mich kann sie eigentlich nicht allein stehen. Es geht – wie immer in der GFK – um die dahinter stehende Haltung – wie soll sich das in ein paar Zeilen erläutern lassen? Mit Haltung meine ich hier: ist es für mich Gewissheit und Selbstverständlichkeit, dass die vor mir stehende Person genau so Bedürfnisse hat wie ich? Und ist es mir Gewissheit und Selbstverständlichkeit, dass ich diese Bedürfnisse genauso achte wie meine eigenen? Ist es mir Selbstverständlichkeit, dass ich aller Bedürfnisse berücksichtigen möchte – auch wenn ich sie vielleicht gerade nicht erfüllen kann? Und dann mit dieser Haltung, in der schützenden Gewalt: sehe ich gerade ein Leben so gefährdet, dass mir nichts anderes mehr einfällt, als – mit Fürsorge und dem Wunsch zum Wohle des anderen beizutragen – diese schützende Form von Gewalt anzuwenden?
      Danke für deine Ergänzungen – eine schöne Anregung für mich, dieses hier noch einmal deutlich zu machen.

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