Ich habe vor einigen Tagen ein neues Wort gelernt: containern. Es ist eine Tätigkeit, die beschreibt, dass Menschen ihre Lebensmittel nicht mehr einkaufen sondern sich aus diesen Containern zusammen sammeln, in welchen Lebensmittelmärkte und Großbäckereien Lebensmittel wegwerfen. Wer jetzt glaubt, nun folgt ein Artikel über die schwierige Lage von Hartz IV Empfängern, der sei gleich hier enttäuscht: Leute, die containern, haben in den meisten Fällen einen gut bezahlten Job und leben in einer für sie persönlich wirtschaftlich stabilen Situation. Der eigentliche Skandal sind nicht die Menschen, die containern gehen. Der Skandal ist, dass wir uns eine Gesellschaft geformt haben, in welcher haltbare, genießbare und gut nutzbare Lebensmittel einfach weggeworfen werden.
Der Artikel, in welchem ich den Begriff containern kennen lernte, erschien pünktlich auf der Seite 3 der Süddeutschen Zeitung in der Heiligabend Ausgabe 2011, kurz vor Festtagsbraten und überfüllten Gabentischen. Ich finde ihn leider noch nicht online, sonst würde ich hier darauf verlinken.
Dort wird beschrieben, wie Menschen abends ab 22 Uhr „einkaufen“ gehen und sie benötigen dazu kein Geld. Sie brauchen lediglich ein paar Taschen, einen Dreikantschlüssel, Gummihandschuhe und saubere Plastiktüten für ihre Schuhe. In dem Artikel wird berichtet, dass es für Lebensmittelmärkte günstiger ist, Joghurts, deren Mindesthaltbarkeitsdatum in 5 Tagen erreicht ist, wegzuwerfen und neue zu kaufen, als 5 Tage später die Joghurts auszusortieren. Der Artikel beschreibt, dass alles weggeworfen wird: nicht nur frische Sachen wie Obst und Gemüse, sondern auch Smoothies, Joghurts, haltbare Milch, Bio-Lebensmittel, Käse, Konserven. Alles. Und wer containert, kann sich aussuchen, was sie/er essen möchte: es gibt keinen Grund, 5 Tage hintereinander Rosenkohl zu essen, die Auswahl ist groß genug. Die Journalisten haben verschiedene Menschen eine Zeit lang begleitet beim Containern.
Wozu die sauberen Plastiktüten für die Schuhe benötigt werden? Großbäckereien werfen die ersten Meter produziertes frisches Brot weg, weil die Brotlaibe nicht schön aussehen. Wenn man dann in den Container auf die Brote springt, um sich dort sein Lieblingsbrot herauszuholen, sollte man frische Plastiktüten über die Schuhe ziehen: der nächste möchte ja auch noch sauberes Brot haben.
Leute, gehts noch? Wir werfen Brot weg, weil es nicht schön aussieht? Wir sortieren Möhren aus, weil sie 2 oder 3 Beine haben, wir verkaufen Tomaten und Äpfel erst gar nicht, weil sie schorfig sind?
Containern ist übrigens rechtlich eine Grauzone: in Dresden wurde erst kürzlich ein Verfahren eingestellt, in welchem ein Lebensmittelmarkt versuchte, einen Mann, der sich seine Lebensmittel aus den Containern bezog, wegen Diebstahls zu verklagen. Das Verfahren wurde eingestellt, weil tatsächlich nicht klar war, wem die Lebensmittel gehörten, wenn sie in der Tonne sind: dem Lebensmittelmarkt, der sie weggeworfen hatte oder dem Unternehmen, welches sie abholte.
Es gibt im Internet einige Seiten, auf welchen man sich informieren kann, wo in der eigenen Stadt welche Container stehen, wie sie am besten zu erreichen sind, was eine gute Zeit für den Lebensmitteleinkauf ist. Ganz generell ist Aldi wohl nicht so gut, denn die stampfen ihr weggeworfenes Zeugs gleich ein.
Ich wußte bisher nicht, wie schlimm das Ausmaß an weggeworfenen Lebensmitteln bei uns ist. Deshalb war ich zu tiefst entsetzt und erschüttert, nachdem ich den Artikel gelesen hatte. Und mir kam wieder in Erinnerung, wie arg ich mich jedesmal nach meinen Südamerika-Reisen vor der auf hochglanz polierten Gemüse- und Obstauslage in unseren Supermärkten geekelt hatte, wenn ich wieder daheim war. Es wirkte jedesmal wie aus Wachs hingegossen. In Südamerika war das anders, dort werden selbstverständlich schorfige Äpfel und Tomaten verkauft, dort sind Bananen gelb und nicht grün, wenn sie im Laden liegen, es gibt krumme Gurken und mehrbeinige Möhren. Dort sieht Gemüse und Obst noch aus, als sei es ganz natürlich gewachsen.
Ich für mich weiß ganz klar: ich will diesen Konsumrausch so wenig wie möglich mitmachen. Ich überlege mir sehr genau, was ich einkaufe, wann ich was essen will und was ich noch zu Hause im Schrank habe. Ich denke sogar darüber nach, einmal selbst containern zu gehen – einfach nur um zu schauen, wie das so ist. Ich überlege mir übrigens auch bei jedem Supermarktbesuch, worin die Lebensmittel verpackt sind, ob und wenn wie viel z.B. Plastik verwendet wird zum Einpacken, das anschließend nur weggeworfen wird und damit den Kunststoffmüllberg nur erhöht. Ich bevorzuge lokale Märkte und kleinere lokale Läden. Und ich denke darüber nach, was ich noch tun könnte, um keine Lebensmittel wegzuwerfen, den Müllberg klein zu halten, den lokalen Einzelhandel zu unterstützen.
Meine Anregung für das neue Jahr:
wie wäre es, wenn ein paar mehr Menschen nur noch mit Einkaufszettel in den Supermarkt gehen anstatt wahllos irgendwas zu kaufen? Wie wäre es, sich genau zu überlegen, wann der Joghurt gegessen werden soll und nicht einfach die Produkte mit dem längsten Mindesthaltbarkeitsdatum zu nehmen? Wie wäre es, einfach immer mal wieder in eine Bäckerei zu gehen und gezielt nach Vortagsbrot zu fragen? Wie wäre es, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass es ein Verbrauchsdatum nur für Wurst & Fleisch gibt (muss bis dann verbraucht sein), alles andere ist ein Mindesthaltbarkeitsdatum und daher i.d.R. noch weitere Tage nach Ablauf dieses Datums verbrauchbar? Und ganz generell: immer und immer wieder bewußt machen, was die Konsequenzen des eigenen Konsum(verhalten) sind. Und sich dann überlegen, ob man das wirklich will und welche Möglichkeiten es gibt sind, dabei nicht mit zu machen.
PS: natürlich geht das Thema weiter, es macht nicht an der Wohnungstür halt. Es gibt genügend Menschen, die hungern, auch hier bei uns im Land, nicht nur in Afrika, Asien oder Südamerika.
Schreibe einen Kommentar