Wir nutzen die 4 Schritte der Gewaltfreien Kommunikation sowohl in inneren als auch in äußeren Kommunikationsprozessen – also sowohl zur einfühlsamen Verbindung mit sich selbst als auch wenn wir anderen Personen einfühlsam begegnen oder ihnen ehrlich mitteilen, was in uns lebendig ist. Dabei gilt es für jeden der 4 Schritte ein paar grundlegende Unterscheidungen zu treffen.
Beobachtung vrs. Bewertung
Der erste Schritt: was ist die Beobachtung? Eine Beobachtung widerzugeben ist ungefähr so, als sei man ein Filmprojektor: ich gebe in meinen Worten wieder, was über meine Sinnesorgane bei mir angekommen ist von dem Geschehenen. Was habe ich gehört / gesehen / gerochen / gespürt / geschmeckt? Das hört sich einfach an, ist oftmals jedoch sehr schwer. Denn eine Beobachtung ist keine Bewertung. Eine Bewertung ist etwas, was ich über jemanden oder etwas denke, eine Bewertung spiegelt meine Meinung wieder und ist damit immer auch Interpretation. Ganz anders eine Beobachtung: die Beobachtung ist losgelöst von meinen Urteilen, Gedanken, Meinungen.
Ein kleines Beispiel. Angenommen ich stehe im Supermarkt an der Kasse und lege die Ware, die ich einkaufen möchte auf das Band. Zwischen mir und dem Kunden vor mir ist eine größere Lücke. Der Kunde vor mir hat gerade bezahlt. Nun kommen 2 Jugendliche und stellen sich direkt zwischen mich und dem Kunden vor mir und legen ihre Waren vor mir auf das Band. Das wäre eine Beobachtung. Die Bewertung wäre: die beiden Jugendlichen drängeln sich vor.
Gefühl vrs. Gedanken
Der zweite Schritt: ein Gefühl benennen. Gefühle sind körperlich wahrnehmbar; sie sind etwas, was wir erspüren mit dem Resonanzraum unseres Körpers. Damit unterscheiden sie sich grundlegend von Gedanken, die i.d.R. eine Form von Bewertung sind. Ich kann mich einsam, froh, entzückt, lebendig, zappelig, allein, traurig, ängstlich, glücklich, unruhig, eng, bewegt, berührt, zart, kalt, warm, ruhig, weit, unruhig, behaglich, …. fühlen. All das lässt sich mit dem Körper wahrnehmen. Nicht mit dem Körper wahrnehmen lassen sich Gedanken wie z.B. missachtet, verlassen, vernachlässigt, übergangen, …. Solche Gedanken oder auch Pseudogefühle sprechen wir gern mit „ich fühle mich….“ aus, tatsächlich folgt dann ein Gedanke. Diese Ausdrücke laden unsere Zuhörer dazu ein, Beschuldigungen und Urteile über sie zu hören. Das ist nichts, was zu einer Verbindung zwischen uns und zu größerem Frieden miteinander beiträgt. Deshalb versuche ich, solche Pseudogefühle zu vermeiden. Immer, wenn wir meinen ein Gefühl zu nennen („ich fühle mich“) und wir könnten statt dessen auch „du hast mich….“ sagen und der Satz wäre grammatikalisch immer noch korrekt, dann werden unsere Zuhörer vermutlich auch genau so ein Urteil hören. Also auch wenn wir sagen „ich fühle mich verlassen“ werden sie hören „du hast mich verlassen“, egal wie viele „ich“ ich in meinen Satz einbaue.
Zurück zu unserem kleinen Beispiel. An der Supermarktkasse kann ich mich nun ärgerlich, unruhig, froh, erstaunt, entspannt, dankbar, hilflos fühlen.
Ich vergleiche sie gern mit der Ölstandsanzeige im Auto. Die Ölstandsanzeige im Auto fängt irgendwann an zu blinken, wenn nicht genügend Öl vorhanden ist. Irgendwann blinkt sie schneller, wenn es weniger Öl wird. Und wenn ich dann nichts tue, leuchtet sie konstant. Menschliche Gefühle verhalten sich ähnlich wie die Ölstandsanzeige. Wenn unsere Bedürfnisse erfüllt sind, ist alles ruhig, entspannt, gelassen. Wenn ein Bedürfnis etwas ins Minus gerät, werden wir unruhig, vielleicht auch nervös. Wenn wir uns das Bedürfnis dann nicht erfüllen, blinkt es deutlicher: wir werden zappelig, ungeduldig. Wenn wir uns das Bedürfnis dann immer noch nicht erfüllen, leuchtet das Gefühl noch deutlicher: wir werden ärgerlich. Letztendlich sind Gefühle also nichts anderes als die körperliche Resonanz, wie gut wir für uns gesorgt haben. Als angenehm wahrgenommene Gefühle sagen: „hey, alles super“. Als unangenehm wahrgenommene Gefühle sagen „hey, pass mal ein bisschen besser auf dich auf, sorg mal für dich.“
Bedürfnis vrs. Strategie
Bedürfnisse – für mich sind sie das zentrale Element der Gewaltfreien Kommunikation. Bedürfnisse sind universell und für alle 7 Milliarden Menschen, die wir auf diesem Planeten leben, gleich. Bedürfnisse sind unabhängig von konkreten Handlungen oder Personen – das macht sie universell. Um zu schauen, ob etwas ein Bedürfnis ist, kann ich mir 2 Fragen stellen: zum einen, ob das, was ich möchte, wirklich unabhängig ist von einer Person oder Handlung. Und zum anderen, ob es vorstellbar ist, dass ein Mensch, der irgendwo in Südamerika im Urwald lebt, das gleiche brauchen könnte, wie ich es gerade brauche. Kann ich beide Fragen mit „ja“ beantworten, ist es sehr wahrscheinlich ein Bedürfnis. Bedürfnisse sind eine Art Lebensmotor: was immer wir Menschen tun, das tun wir, um uns Bedürfnisse zu erfüllen. Sie sind die Qualitäten des Lebens, die, wenn wir sie erfahren, unser Leben bereichern und schöner machen. Und Bedürfnisse unterscheiden sich ganz klar von Strategien. Strategien sind die Wege, wir wir uns unsere Bedürfnisse erfüllen. Auf Strategieebene können wir sehr viele Konflikte haben. Dort wollen wir unsere (Lieblings-)Strategien gegen andere Menschen durchsetzen und wollen, dass andere genau das tun was wir bestimmen. Auf Bedürfnisebene sind Konflikte nicht vorhanden. Es ist die Ebene der Verbindung: wenn wir uns unsere Bedürfnisse mitteilen, können wir unsere Mitmenschen verstehen und sie haben die Möglichkeit, uns zu verstehen. Oft glauben wir, es gäbe nur einen einzigen Weg, unser Bedürfnis zu erfüllen. Tatsächlich gibt es ungefähr 7.815.465.298 +/- 7 verschiedene Wege sich ein Bedürfnis zu erfüllen. In dem Moment, wo von allen Beteiligten die Bedürfnisse wirklich bekannt sind, wird es sehr wahrscheinlich, dass sich ein Weg – eine Strategie – auftut, sich diese vielen Bedürfnisse auch zu erfüllen. Es findet sich dann also ein Weg, mit dem alle Beteiligten gut leben können.
Noch einmal zu meinem kleinen Beispiel neulich an der Supermarktkasse. Ich war in der Situation tatsächlich froh und erleichtert, weil meine Bedürfnisse nach Ruhe und Entspannung erfüllt waren, als die Beiden ihre paar Sachen vor mir bezahlten, während ich noch meine Ware auf das Band legte. Ich hätte natürlich auch genauso gut hilflos sein können, weil mein Bedürfnis nach Gesehen-Werden nicht erfüllt schien. Oder ich hätte ärgerlich sein können, weil mein Bedürfnis nach Wertschätzung nicht erfüllt schien. Tatsächlich war ich ruhig und froh, eben weil ich Ruhe und Entspannung erlebte.
In dem Zusammenhang möchte ich auf meine kleine Revolution der GFK aufmerksam machen: die Stelle, an der wir in unseren Sätzen das Wort „weil“ einbauen. Was wir vermutlich alle recht früh in unserem Leben gelernt haben, ist das „weil“ zwischen die Beobachtung und das Gefühl einzubauen. Ich bin ärgerlich, weil das Zimmer nicht aufgeräumt ist. Ich bin enttäuscht, weil du 15 Minuten nach der verabredeten Zeit kommst. usw usw. Was dann passiert, ist das wir die Verantwortung für unsere Gefühle abgeben. Wir denken, nur weil jemand etwas getan oder nicht getan hat, geht es uns so oder so. Und wenn das nicht so gewesen wäre, dann ginge es uns besser. Damit nehmen wir uns selbst sehr viel eigenen Freiraum.
In der Gewaltfreien Kommunikation ist es nun anders. Wir bauen das „weil“ zwischen die Gefühle und die Bedürfnisse ein: ich bin traurig, weil ich mir Einbezogen-sein wünsche. Ich bin ohnmächtig, weil ich mir Unterstützung wünsche, usw usw. Genau wie weiter obern erläutert: Gefühle sind das Signal, dass Bedürfnisse erfüllt oder nicht erfüllt sind. Das bedeutet: wir fühlen etwas, weil wir etwas brauchen (oder schon haben). Damit übernehmen wir selbst Verantwortung für unsere Gefühle: wir sind bereit, nach Wegen zu forschen, wie unsere Bedürfnisse besser erfüllt sein könnten. Damit lassen wir uns unseren Freiraum und geben die Verantwortung dafür, wie es uns geht, nicht ab an andere. Der Weg, das zu tun, ist es eine Bitte zu äußern.
Bitte vrs. Forderung
Der vierte Schritt der GFK – die Bitte – ist der Schritt, um nicht da stehen zu bleiben, wo wir gerade sind (z.B. bei der Erkenntnis über unerfüllte Bedürfnisse) sondern um weiter zu gehen und dafür zu sorgen, unsere Bedürfnisse auch zu erfüllen. Bitten sind positiv formuliert, konkret und machbar im hier&jetzt. Damit unterscheiden sie sich von frommen Wünschen (irgendwann in der Zukunft und recht unkonkret) oder Forderungen. Ob eine geäußerte Bitte tatsächlich eine Bitte oder doch eine Forderung ist, erkennen wir eigentlich erst dann, wenn sie ausgesprochen wurde. Nämlich daran, dass die Antwort „NEIN“ genauso OK und willkommen ist, wie die Antwort „JA“. Lässt das Geäußerte das Nein nicht zu, dann war es wohl eher eine Forderung. Ansonsten ist das geantwortete Nein der Anfang des Dialogs – bei einer Forderung wäre es das Ende.
Ein Beispiel für eine Bitte (das Supermarktkassen-Beispiel funktioniert jetzt leider nicht mehr) könnte sein: wenn ich sehe, dass meine Uhr 15 Minuten nach unser verabredeten Zeit zeigte, als du zur Tür herein kamst, dann bin ich enttäuscht, weil mir unsere gemeinsame Zeit wirklich wichtig ist. Bist Du bereit mir jetzt zu sagen, was vorgefallen ist? Die Bitte ist in diesem Fall das „Bist Du bereit ….“.
Wir kennen in der GFK 3 verschiedene Arten von Bitte: die Bitte um Empathie („bitte sag mir, was bei dir angekommen ist von dem, was ich sagte“), die Bitte um Ehrlichkeit („bitte sag mir, wie es dir mit dem geht“) oder eine Handlungsbitte. Für mich ist es oftmals so, dass es in einer Gesprächssituation – und erst recht in einer Konfliktsituation – zunächst einmal einige Runden Verbindungsbitten in Form von Empathie- und Ehrlichkeitsbitten braucht, bevor wir mit unseren Gesprächspartnern wirklich zu einer Handlung kommen können, die alle Beteiligten auch bereit sind mitzutragen.
Dies ist der 4. Artikel der Serie „Schlüsselunterscheidungen der GFK“. die Serie wird fortgesetzt.
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