Wie heißt es so schön in der Gewaltfreien Kommunikation? Konflikte exisitieren immer auf Strategie-Ebene, niemals auf Bedürfnis-Ebene. Es sind die Bedürfnisse, wo echte Begegnung stattfindet, wo Verständnis passiert und sich dann Lösungen von Konflikten ergeben. Ich stimme dem zu, ich mache diese Erfahrungen immer wieder – wenn wir uns die Mühe machen und uns wirklich mit den eigenen Bedürfnissen und denen des anderen auseinander setzen, dann sind Konfliktlösungen nachhaltig machbar. Und ich sage auch – oft braucht es mehr, bis diese Begegnung und dieses Einlassen überhaupt möglich ist.
Immer wieder erlebe ich – sei es in der Begleitung von anderen oder sei es bei meinen eigenen Konflikten – dass die tatsächlichen Ursachen mancher Konflikte bei den einzelnen Beteiligten sehr alt sind, manchmal sind es Verletzungen, die wir schon viele Jahre mit uns herum schleppen oder ganz alte Wunden, die durch diesen neuen Konflikt wieder Aufmerksamkeit bekommen und schmerzen. Dann ist der neue Konflikt nur Auslöser für wieder aufgeweckte Schmerzen, die lange zurück liegen: in unserer Kindheit, in früheren Erlebnissen und in alten Begebenheiten. Dann ist alles wieder da was einmal war, dann reagiert unser lymbisches System so, wie es das vor langer Zeit gelernt hat und wir spulen einfach nur noch ein Programm ab, reagieren unbewußt. Manchmal wissen wir, dass wir so reagieren werden oder könnten und dass uns das überhaupt nicht zum Ziel bringt – und tun es trotzdem. Wir steigen quasi, um in einer Metapher zu sprechen, wissenden Auges in Hannover in den Zug nach Köln ein und tragen die Absicht in uns, eigentlich nach Berlin zu wollen, sind sogar zu tiefst davon überzeugt, dass wir auch in Berlin ankommen werden. Heißt übertragen: wir wissen um unsere Verhaltensmuster, die wir in solchen Notsituationen abspulen und habenin dem Moment dennoch nicht die Möglichkeit, irgendwie anders zu agieren.
Diese Art von Konflikten lassen sich nicht einfach durch Klären der Bedürfnisse aller Beteiligten lösen. Hier ist vorher bei den beteiligten Personen eine sehr tiefe, intensive Empathie notwendig. Bei diesen Konflikten brauchen wir voher viel, viel Zeit, um unsere alten Wunden zunächst zu versorgen und Heilung zu erfahren. Das kann manchmal sehr lange Zeit in Anspruch nehmen. Ich finde es wichtig, sich diese Zeit zu nehmen, zuzulassen, dass genau das dann eben so ist, zu akzeptieren, dass nicht jetzt gleich sofort und auf der Stelle der Konflikt gelöst wird. Das bedeutet einerseits, selbst zu anzunehmen, dass man mit diesen alten Wunden jetzt gerade den Konflikt nicht angehen kann. Es bedeutet, sich zu erlauben, jetzt nicht alles lösen zu müssen. Ich darf in solchen Momenten für mich sorgen und mich um meine Bedürfnisse kümmern. Und das bedeutet für den Konfliktbeteiligten auch, in Erwägung zu ziehen, dass es für die andere Person jetzt gerade eben so ist, dass diese Person Zeit benötigt für sich selbst. Manchmal ist es sauschwer, genau diese Offenheit und Freiheit zu leben.Es bedeutet, sich von Schuld und Scham zu lösen: von eigenen Schuldzuweisungen und dem sich-schämen-es-jetzt-nicht-hinzukriegen und auch von den Schuldzuweisungen zum anderen.
Ich selbst habe kürzlich etwas erlebt, dass mich darin vertrauen läßt, dass wir Konfliktlösungen nicht erzwingen können, dass wir Zeit benötigen um die Lösungen zu uns kommen zu lassen. Ich hatte einen sehr schlimmen Konflikt mit einer Person, die ich schon viele viele Jahre kenne und die mir sehr wichtig ist. Wir hatten uns vor gut 8 Monaten so heftig gestritten, dass wir bis vor kurzem nicht mehr miteinander gesprochen haben. Diese Zeit war für mich sehr schwer und mit großen Schmerzen und Traurigkeit verbunden. Und gleichzeitig war mir immer klar, dass ich keine Lösung erzwingen und erdrängen konnte. Ich bin dann plötzlich von dieser Person angerufen worden und wir haben über unseren Streit gesprochen. Einfach so aus heiterem Himmel, plötzlich klingelte bei mir das Telefon. Wir konnten uns gegenseitig Empathie geben, konnten uns anhören, konnten uns Verständnis geben in einer wunderbaren Offenheit und Ehrlichkeit. Einfach nur, weil die Zeit soweit war. Und es war klar, dass es genau diese Zeit gebraucht hat, dass erst einmal jeder für sich gut sorgen mußte, bevor eine Begegegnung möglich war.
Dieses Vertrauen zu entwickeln, dass in einem Konflikt auch der andere Verbindung möchte und gerade aus einer Not heraus doch nicht in Verbindung gehen kann; Vertrauen zu haben, dass, wenn wir gut für uns gesorgt haben, uns eine Lösung finden wird und wir uns wieder mitfühlend und ehrlich begegnen können, das ist vermutlich das schwierigste.
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