Können Sie sich noch an George Orwells „Farm der Tiere“ erinnern? Ich habe es damals im Englisch-Unterricht gelesen und deshalb ist mir das wichtigste Zitat immer noch in englischer Sprache im Ohr: All animals are equal, but some are more equal. Ich komme gerade von einer „Weiterbildung“ zurück (zu dem eigentlichen Thema des Kurses werde ich irgendwann auch noch schreiben), es war eine Veranstaltung mit 101 Personen, ich habe dort viele Parallelen zu „Farm der Tiere“ erlebt und denke seit dem viel über die Begriffe Gemeinschaft, Verantwortung und Macht nach.
Die Veranstaltung stand auch unter dem Begriff Gemeinschaft, es gab ein Organisationsteam, welches dies in den Einladungen und auf dem Kurs selbst immer wieder betonte und was auch von allen Teilnehmern dankbar aufgegriffen wurde. Gemeinschaft klingt ja schließlich nach Wohlfühlen, nach Unterstützung, nach Zugehörigkeit, nach Gerechtigkeit und das sind alles immer wieder gern er- und ge-lebte Qualitäten. Es wurde auch sehr häufig betont, dass jeder Teilnehmer selbst dafür verantwortlich sei, in welchem Maße diese Gemeinschaft mit den Qualitäten gelebt wird. Und noch etwas war der Gruppe und den Organisatoren wichtig: niemand sollte in irgend einer Form Macht über jemand anderes haben. Es sollte die Gleichwertigkeit gelebt werden eines jeden einzelnen Beteiligten. Das klingt erstmal gut, oder? Ja, so fing Farm der Tiere auch an. Und dann ging es los.
Zunächst einmal habe ich festgestellt, dass viele Menschen die Begriffe Verantwortung und Macht verwechseln. Nun könnte ich hier seitenweise über das Thema Macht schreiben und ob es im Sinne von Macht-über verstanden wird oder im gestalterischen, ursprünglichen Sinne Macht-mit (machen, mitmachen, gestalten). Die Organisatoren haben den Begriff Macht wohl herkömmlich verstanden (Macht-über) und damit jede Macht verpönt und weit von sich gewiesen. Das Verweigern einer Macht-über ist erst einmal ja sehr lebensbereichernd. Leider haben sie jedoch die mit einer Aufgabe (Organisation der Veranstaltung) einhergehende Verantwortung auch von sich gewiesen und im Zeichen der Gemeinschaft („wir tragen alle dazu bei, dass es eine gute Woche wird“) ihre organisatorische Verantwortung auf die Teilnehmer an der Eingangstür abgewälzt und den Begriff Gemeinschaft mißbraucht. Was heißt nun also Verantwortung? Er bedeutet, ganz ursprünglich, dass ich mich mit den Antworten meines Handelns und meiner Worte auseinandersetze und die Konsequenzen trage. Verantwortung tragen heißt also, sich mit den Konsequenzen (Antworten) des eigenen Handelns auseinander zu setzen. Wenn ich also eine Aufgabe übernehme, dann trage ich selbst die Konsequenzen dafür, wie ich diese Aufgabe ausführe. Wenn ich die Aufgabe ungefragt und nicht-transparent abwälze auf andere Personen, die diese Aufgabe nicht ausführen wollen oder können, dann muß ich mit den Konsequenzen meiner Entscheidung leben (strukturelles Chaos) und kann auch keine Wertschätzung mehr erwarten für alles, was ich vielleicht vorher schon getan habe.
Noch etwas zum Zusammenhang Verantwortung und Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft wird vor allem dann bereichert, wenn ihre Vielfältigkeit geschätzt wird, wenn erkannt wird, welch schönen und wertvollen Beitrag jeder individuelle Teilnehmer dieser Gemeinschaft leistet. Gemeinschaft heißt nicht „Gleichmacherei“. Es bedeutet nicht, dass alle Beteiligten ganz uniformiert das gleiche sagen, denken oder tun. Es bedeutet, dass jedes Individuum seins dazu beiträgt, dass etwas noch schöneres, größeres entsteht.
Und dann hat jedes Individuum seine eigene Aufgabe (und damit Verantwortung) in dieser Gemeinschaft. Dann kann Gemeinschaft wirklich so funktionieren wie z.B. ein Organismus: die Leber (Individuum 1) erledigt ihre Aufgaben, die Lunge (Individuum 2) wiederum ihre Aufgaben und das Herz (Individuum 3) noch andere Aufgaben. Jedes Individuum für sich erledigt wichtige Aufgaben und kann außergewöhnliche Dinge leisten, zusammen vollbringen sie etwas noch größeres, schöneres. Doch Individuum 1 kann niemals die Verantwortung übernehmen für Aufgaben, die Individuum 3 erledigt hat; doch jedes Individuum ist von den Konsequenzen der Aufgaben der anderen betroffen. Und damit bekommen Aufgaben, die von einem einzelnen in einer Gemeinschaft erledigt werden, eine zusätzliche Verantwortung: sie tragen nicht nur zum eigenen Wohlergehen sondern auch zum Wohl- oder Mißergehen der anderen bei.
Nun will ich Gemeinschaft hier nicht verteufeln: es ist etwas wunderbares, dort Unterstützung, Hilfe, Geborgenheit zu erleben. Wohl aber möchte ich auf die besondere Bedeutung einer Verantwortung in einer Gemeinsschaft hinweisen. Und noch etwas möchte ich mitteilen: in einer Gemeinschaft trägt jedes einzelne Individuum eine weitere, ganz besondere Verantwortung. Und das ist die, zu überprüfen, ob das, was das Individuum gerade sagen oder machen will, für die Gemeinschaft gerade beiträgt oder nicht. Oder, um mal wieder mit den Worten der Gewaltfreien Kommunikation zu sprechen: jedes Individuum sollte zunächst prüfen, ob eine gewünschte Handlung oder ein zu sprechender Satz die eigenen Bedürfnisse erfüllt, die Bedürfnisse eins anderen oder die der ganzen Gemeinschaft. Und dann kann diese Prüfung so ausfallen, dass es etwas ist, was nur für das Individuum selbst interessant ist oder für eine einzelne andere Person dieser Gemeinschaft. Solche Dinge gehören niemals in die gesamte Gemeinschaft, niemals in ein Plenum. Tut man es dennoch, beginnt man, andere Menschen für das Erfüllen der eigenen Bedürfnisse oder die eines anderen zu instrumentalisieren. Und Instrumentalisieren ist eine Form von Mißbrauch. Das bedeutet jedoch nicht, die eigenen Bedürfnisse zu ignorieren, ganz im Gegenteil: eine Gemeinschaft kann nur dann gut funktionieren, wenn jedem Individuum zunächst einmal seine eigenen Bedürfnisse bewußt und klar sind und es gut für sich sorgt. Wenn also dieses Individuum eben auch für die eigenen Bedürfnisse Verantwortung übernimmt.
Was hat mich noch an Farm der Tiere erinnert? Da war noch eine Begebenheit am Anfang, als die Gruppe begann, sich Regeln zu geben wie sie im Falle eines Konfliktes miteinander umgehen möchte. Eine Teilgruppe hatte diese Regeln entwickelt und der übrigen Gruppe mit dem Satz „es wurde beschlossen“ verkündet. Welch ein Satz! Im Passiv formuliert („es wurde beschlossen“) und damit losgelöst von jeder Verantwortung. Dann das Verb, das da klingt wie eine große Mauer („beschlossen“). Eine anonyme Teilgruppe von Menschen hat eine Entscheidung getroffen und sie dem Großteil der Gesamtgruppe vor die Füße geworfen, hat die individuelle Mitgestaltung eines Einzelnen ausgeschlossen. Was bedeutete das? Ein Großteil der Individuen hatte keine Möglichkeit, Fragen beantwortet zu bekommen, Anmerkungen zu stellen, das Ergebnis des Beschlusses zu korrigieren aufgrund der Anonymität. So hat Farm der Tiere auch funktioniert, als die 7 Gebote an der Scheune immer weiter zusammengestrichen wurden! Und es bedeutet auch, dass nicht jedes Individuum gehört wurde („ja – Zustimmung“ – „nein -Veto“- „nein, doch ich vertraue darauf, dass ich meine eigenen Bedürfnisse trotzdem erfüllt bekomme, und stimme deshalb zu“) Für mich war das ein Zeichen, dass Macht tatsächlich immer existiert, ob sie nun gewollt ist oder nicht. Die Frage ist allerdings, wie wir mit Macht umgehen. Darüber dann ein anderes Mal mehr.
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