Ich wage zu behaupten: Angst löst Angst aus. Angst löst Aggressivität aus. Angst lähmt und behindert. Leider nicht nur die ängstlichen Personen – durch die Angst einzelner kann ein gesamtes System lahmgelegt werden. Ich mag diese Abwärtsspirale an Beispielen erläutern.
Beispiel 1: 2 Kollegen, Paul und Fritz, arbeiten zusammen an der gleichen Sache. Fritz glaubt zu wissen, wie es richtig geht, und macht die Dinge ohne sich mit Paul abzustimmen. Als Paul das erfährt, befürchtet er, nicht mehr einbezogen zu sein und sieht sein Bedürfnis nach Einflussnahme und Mitgestalten nicht mehr erfüllt. Weil Paul jedoch ängstlich ist, sagt Paul nichts sondern lässt es über sich ergehen. Das ganze passiert ein zweites Mal, dieses Mal wird Paul zwar schon maulig, sagt aber auch immer noch nichts. Fritz wird dann vielleicht auf die Mauligkeit des Paul aufmerksam, glaubt aber, dass Paul einen schlechten Tag hat und sagt auch nichts. Irgendwann, als es wiederholt passiert, wird Paul, der ja eigentlich ängstlich war, richtig wütend und haut vielleicht einen Stift kaputt oder schlägt die Tür laut zu. Nun ist es bei Fritz, ängstlich zu werden. Nun wird Fritz sich vielleicht zurück ziehen um sich zu schützen, weil er mit der Aggressivität von Paul nichts zu tun haben will. Wenn Fritz sich aber zurück zieht, sieht Paul seinen Einfluss noch mehr schwinden und wird noch aggressiver…. Dynamik erkannt?
Beispiel 2: 2 Kolleginnen, Frieda und Luise. Frieda und Luise arbeiten in einem Team mit 7 weiteren Menschen zusammen. Als Frieda ein Problem entdeckt, ruft sie schnell das ganze Team zusammen, weil sie weiß, dass nur das Team das Problem lösen kann. Weil Luise gerade in einer anderen wichtigen Besprechung ist, ruft sie Luise nicht. Irgendwann löst die Gruppe ohne Luise gemeinsam das Problem. Weil die Gruppe gerade einmal so gut dabei ist, haben sie gleich noch Ideen, wie sie weitere Dinge neu gestalten können und planen das gleich mit. Dann geht die Gruppe auseinander, trifft sich jedoch in den nächsten Tagen regelmäßig, um an den neuen Dingen gemeinsam weiter zu arbeiten. Niemand sagt Luise Bescheid, die ja beim ersten Treffen nicht dabei war. Luise wiederum bemerkt, dass sich ihre Kolleginnen regelmäßig treffen, geht jedoch davon aus, dass man ihr schon von sich aus Bescheid sagen würde. Deshalb fragt sie nicht. Weil die anderen sich jedoch so gutgelaunt regelmäßig treffen, wird Luise ängstlich und glaubt nicht mehr dazu zu gehören und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Luise will sich nun schützen und zieht sich immer mehr zurück. Luise kennt ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit vielleicht gar nicht, hat aber das Verhaltensmuster Rückzug bei Angst. Damit tut sie aus dem Wunsch heraus sich zu schützen genau das Gegenteil von dem, was sie sich eigentlich wünscht. Ihre Gedanken haben freien Lauf und sie beobachtet ihre Kolleginnen und interpretiert Gesten, Mimiken, Handlungen so, dass es zu ihrem Ausgeschlossenwerden-Gedanken passt. Luise hat wirklich Angst vor Ausschluss und beginnt, um sich zu schützen, keine emotionalen Reaktionen mehr zu zeigen. Sie zieht eine Mauer um sich herum, lässt niemanden an sich heran. Sie legt ihre Professionalitätsrüstung an und macht die Dinge allein. Die anderen wiederum merken, wie Luise sich zurück zieht. Doch da Luise die Dinge ja scheinbar allein machen will und weil die Kolleginnen das zumauern von Luise wahrnehmen, gehen sie nicht mehr auf Luise zu. Frieda unternimmt noch 1-2 Versuche, weil sie bisher ganz gut mit ihr konnte, lässt es dann aber auch irgendwann. Frieda rennt ein paar Mal gegen die emotionale Mauer, mit welcher Luise sich schützt und bekommt es dann mit der eigenen Angst und Ohnmacht zu tun. Sie hat vielleicht Angst davor, dass der Kontakt verloren geht und wünscht sich auch Resonanz. Irgendwann wird Frieda dann ärgerlich, weil sie Luise nicht mehr erreicht. Erschwerend hinzu kommt, dass Luise ein spezielles Fachwissen hat, was nur sie hat und was für die Gruppe wichtig ist. Durch Luises innere Migration ist sie jedoch nicht mehr bereit, dieses Fachwissen zu teilen. Irgendwann kommt es dann zur Katastrophe: Luise bringt ihr Know-how nicht ein, die anderen können nicht mehr arbeiten, damit ist irgendwann die ganze Abteilung lahm gelegt, die wiederum für andere Abteilungen Dinge zuliefern…. Dynamik erkannt?
Und wer nun sagt, meine Beispiele seien konstruiert – auch wenn Frieda und Luise und Paul und Fritz nicht real existieren: ihre Verhaltensmuster habe ich in vielen verschiedenen Kontexten schon sehr oft beobachtet.
Für mich bedeutet das Wissen um diese Angstdynamiken, eine größere Aufmerksamkeit auf meine eigene Angst zu legen. Dazu gehören 2 Dinge: mir selbst einzugestehen, dass ich so etwas wie Angst habe. Und als zweites in solchen Momenten, wo ich ärgerlich werde oder über andere urteile auch zu überlegen, ob da vielleicht Angst im Spiel ist. Sehr oft ist es das. Es lohnt sich für mich, das zu erkennen, denn dann kann ich schauen, wie ich wieder in meine eigene Freiheit komme, um mich nicht von der Angst bestimmen zu lassen. Mir wird immer klarer: dieser Schutz, nach dem meine Angst verlangt, den gibt es gar nicht. Wenn ich wirklich versuche, mir diesen Schutzraum zu kreieren, dann kommt zwar nichts mehr von außen in meinen Schutzraum hinein. Doch leider dringt auch nichts mehr heraus, ich ziehe eine Mauer um mich herum, durch die nichts durch gelangt. Diese Mauer macht sehr einsam.
Welcher Alternative gibt es zur Schutzmauer? Wir können Angst nur mit Liebe begegnen – ich glaube, es gibt keinen anderen Weg. Liebe und Empathie für sich selbst, die eigene Angst liebevoll umarmen und behutsam mit sich und den eigenen Bedürfnissen umgehen. Wohlwissend, dass jede Mauer und jeder Stacheldraht, den ich um mich errichte, nichts nützt und das Gegenteil dessen ist, was ich eigentlich brauche. Sich so lange nähren, bis dieser Gegenentwurf zur Angst – dlie Liebe – seine Blüten auch nach außen treibt. Ich habe vor einiger Zeit meinen Gegenentwurf zu meinem Schutzraum einmal in einer Grafik illustriert, mit welcher ich diesen Artikel nun abschließen möchte:
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