Gewaltfreie Kommunikation, Coaching, Mediation in Hamburg.

Gewinnen oder Verlieren?

Oder: geben Sie als Führungskraft sich selbst die Chance, erfolgreich zu sein

Haben Sie sich schon einmal Gedanken darum gemacht, was der Grund ist, aus dem jemand handelt, wenn sie diese Person um etwas bitten? Was hätten sie gern, das der Grund ist?

Viele Menschen handeln, wenn sie um etwas gebeten werden, aus Angst, Scham oder Gehorsam. Sie hören eine Forderung und befürchten Strafe und irgend eine Form von Sanktion. Also tun sie das, was man ihnen sagt. Das Kind räumt das Zimmer auf, weil es sonst psychische (manchmal physische) Gewalt befürchtet, der Mitarbeiter fürchtet die Abmahnung oder Mobbing und tut das, was der Chef sagt, der Partner möchte kein kaltes Bett und folgt den Anweisungen der Partnerin (oder umgekehrt).

Diesen Kurzbeispielen gemeinsam ist immer folgendes Muster: eine Person oder eine Gruppe von Personen glaubt zu wissen, wie es geht und zwingt andere Personen genau so zu handeln. Dieses Zwingen geschieht selten offensichtlich, es ist meistens subtil. Und oft sind die Erfahrungen mit den zu erwartenden Sanktionen der fordernden Personen so schlecht, wenn sie den Anweisungen nicht folgen, dass sie einfach handeln. Die Personen, die Handlungen fordern, glauben sich auf der Gewinner-Seite: sie nennen solche Situationen win-lose.

Ihre Rechnung geht nicht auf.

(c) Christel Sohnemann

Es gibt kein win-lose, zumindest auf die Dauer betrachtet nicht. Jeder Mensch, der etwas tut aus Angst, Scham oder Gehorsam, wird die andere Person irgendwann dafür bezahlen lassen. Jedes win-lose wird irgendwann zu einem lose-lose für die Beziehung. Wie das kommt?

Immer, wenn wir aus einer Situation heraus als Verlierer gehen, werden wir uns das merken. Vielleicht nicht immer bewusst, doch wir werden es auf einem Konto registieren, dass für uns (wieder nicht) gut genug gesorgt wurde, dass wir zu kurz gekommen sind, dass wir nicht einbezogen wurden. Und dann kommt irgendwann der Moment, wo es uns zu bunt wird. Wo wir feststellen, dass wir zu oft als Verlierer aus den Situationen mit dieser Person herausgegangen sind. Und dann wird diese Person dafür bezahlen. Oft ist es zu einem Zeitpunkt, wo sie es am allerwenigsten gebrauchen kann. Ich möchte das an einem kleinen Beispiel aus dem Arbeitskontext erläutern.
Es handelt sich bei diesem Beispiel um ein Unternehmen, welches ich (als Coach passiert das ja öfters) aus einiger Distanz beobachten konnte. Dieses mittelständische Unternehmen hatte eine große Veränderung zur Steigerung der Arbeitseffizienz herbeigeführt. Neudeutsch heißt es „einen Changeprozess gestartet“. Die Führungskraft, die diesen Wandel initiiert hatte, handelte aus der Absicht heraus, die langfristige Existenz des Unternehmens zu sichern. Bei den Überlegungen für die Unternehmensveränderung wurden die Mitarbeiter soweit eingebunden, dass ihnen der Stand der Dinge berichtet wurde. Es gab viele kritische Stimmen im Unternehmen, es gab viele Zweifel und es gab sehr viele Dinge, die den Mitarbeitern nicht verständlich waren. Zunächst hatten die Mitarbeiter dies auch geäußert, haben ihre Zweifel, Fragen und Bedenken mitgeteilt. Sie haben keine Antworten bekommen – zumindest nicht in dem Sinne, dass ihnen ehrlich zugehört wurde und sie mit ihren Zweifeln und Fragen einbezogen und mitgestalten konnten. Irgendwann war klar, dass viele der Mitarbeiter nicht hinter der Initiative standen. Doch sie wurden überstimmt. Ihre Zweifel, Ängste, Besorgnisse, Bedenken wurden nie so weit gehört, dass sie glaubten, sie werden ernst genommen mit ihren Bedenken, dass sie nie glaubten sie werden ehrlich einbezogen, um Rat gefragt, ihre Bedürfnisse mit berücksichtigt. Sie wurden nie zu einem echten Mitgestalten eingeladen. Es war leichter, sie als Veränderungsgegner zu etikettieren. Mitarbeiterinitiativen waren nur dann willkommen, wen sie mit dem Wind wehten. Die Veränderung wurde dennoch durchgeführt – die Führungskraft hatte „die Situation im Griff“, sie wusste was zu tun war und setzte sich durch. Und zwar so, wie man das eben macht: Anweisungen geben, klare Ansagen, Durchsetzen. Der Gewinner schien klar. Und auch die Verlierer: irgendwann begannen die ersten Mobbing-Situationen gegen die Mitarbeiter, die ihre Zweifel hatten: lästern, schlecht-machen, ausgrenzen, üble Nachrede, mangelnde Aufrichtigkeit, keine Wertschätzung, hinter-dem-Rücken-Behauptungen-aufstellen. All diese vielen kleinen Situationen kamen zu dem hinzu, was die Mitarbeiter in der Vergangenheit ohnehin erlebt hatten: Abmahnungen, Anschreien, Verurteilungen, fristlose Kündigungen ehemaliger Kollegen. Und sie haben alles, was ihnen nun passierte, weiter auf ihrem Konto verbucht. Es ging eine Weile so weiter: die Führungskraft sah sich als Gewinner und glaubte ohne jede Zweifel und Reflektion an die Richtigkeit der eigenen Ideen. Wer nicht mitmachte, war eben Verlierer. Dann kam der Moment, wo jeder Mitarbeiter gebraucht war, um die Veränderung zu tragen – und es endete in einem Desaster. Nahezu 20% der Mitarbeiter verließen das Unternehmen – zum großen Teil, ohne einen neuen Arbeitsplatz zu haben. Es waren Mitarbeiter, die für die Veränderung unentbehrlich gewesen wären. Es waren die Mitarbeiter, die in der Vergangenheit selten das bekommen haben, was sie gebraucht hätten: Einfluss, Mitgestalten, Wertschätzung, Akzeptanz, Empathie. Sie hatten kein Vertrauen mehr. Das wirkte sich natürlich auf die Arbeitsfähigkeit der verbleibenden Mitarbeiter aus, die dann die Veränderung erst recht nicht mittragen konnten. Die Existenz des Unternehmens stand auf dem Spiel. So wurden viele win-lose Situationen zu einem Gesamten lose-lose.

Noch ein weiteres Beispiel, vielleicht aus dem privaten Umfeld? Stellen sie sich einfach vor, sie werden von ihrem Partner oder ihrer Partnerin gefragt, ob sie mit ins Kino möchten. Sie glauben, dass sie das müssen (sonst gibt es vielleicht „wieder kein Sex“) und gehen mit ins Kino, obgleich sie überhaupt keine Lust haben und der Film sie nicht interessiert. Sie hören eine Forderung und handeln aus Angst oder Schuld heraus. Sie sind Verlierer, PartnerIn ist Gewinner. Das geschieht noch ein paar mal: PartnerIn fragt, ob sie dies oder das machen können und sie hören eine Forderung. Eigentlich haben sie keine Lust, das zu tun (Einkaufen gehen, Wohnung aufräumen, Spülmaschine ausräumen, kochen, Kinder ins Bett bringen, ins Theater gehen, an den Urlaubsort fahren den sie nicht mögen, und und und…). Und obgleich sie keine Lust haben, tun sie das, was sie glauben tun zu müssen. Dem Partner zu Gefalle oder aus Sorge vor Sanktionen. In jedem kleinen Moment verlieren sie: sie tun etwas, was sie eigentlich nicht wollen und die andere Person gewinnt. Irgendwann kommt dann der Moment, da wird es ihnen zu blöd. Da können sie es einfach nicht mehr hören. Da hat sich so viel angestaut, dass sie es den Partner/die Partnerin spüren lassen. Das ist der Moment, wo der Streit richtig eskaliert, wo Türen schlagen, die Stimme laut wird oder wo eine Person sich ganz heimlich aus der Partnerschaft zurück zieht.

Jedes vermeintliche win-lose wird immer zu einem lose-lose für die Beziehung.

Wie können win-win Situationen entstehen?
(c) Christel Sohnemann

Es gibt – neben Angst, Scham, Gehorsam – eine vierte Möglichkeit, warum wir etwas tun, wenn uns jemand um etwas bittet. Es ist die Freude. Ja, es ist tatsächlich so: wir Menschen tragen gern zum Wohle anderer bei. Allerdings braucht es dazu ein paar Voraussetzungen, sonst wird es nichts. Wir tragen nur dann gern zum Wohle anderer bei, wenn:

  • wir freiwillig handeln
  • wir darauf vertrauen können, dass unsere Bedürfnisse genauso berücksichtigt werden
  • das Erfüllen unserer eigenen Bedürfnisse der Bitte nicht entgegen steht.

Ich merke, ich möchte immer mehr, dass Menschen nicht aus Angst, Scham oder Gehorsam handeln, wenn ich sie um etwas bitte. Ich möchte, dass sie freiwillig handeln können. Und das führt dazu, dass ich ihre NEIN hören möchte, wenn ich sie um etwas bitte und sie das gerade nicht tun können oder wollen. Und dann ist das NEIN der Anfang des Dialogs. Dann möchte ich gern wissen, welche ihrer Bedürfnisse nicht erfüllt sein könnten, wenn sie meine Bitte erfüllen würden. Denn ich möchte mit ihnen gemeinsam nach Wegen forschen, wie wir alles berücksichtigen können: meine Bitte und ihre Bedürfnisse. Vermutlich lässt sich, wenn wir offen und ehrlich miteinander umgehen, ein Weg finden, der für beide gangbar ist.

Was heißt das für unsere beiden Beispiele?

Für das kleinere der beiden Beispiele bedeutet es, dass wir der Partnerin / dem Partner klar machen, dass wir ihre Bitte nicht erfüllen möchten – und dabei auch sagen, welche unserer Bedürfnisse das gerade nicht zulassen. Wir möchten z.B. nicht mit ins Kino gehen, weil der Film uns nicht interessiert und weil wir etwas Wärme und Geborgenheit möchten und nicht durch Regen oder Schnee zum Kino stampfen möchten. Und gleichzeitig möchten wir die Gemeinschaft mit PartnerIn genießen. Daraus lässt sich doch ein neuer Weg basteln: vielleicht gibt es eine DVD gemeinsam auf dem Sofa, Popcorn inklusive. Oder vielleicht möchten wir jetzt nicht einkaufen fahren, weil die vollen Geschäfte um diese Zeit sehr anstrengend sind und wir Ruhe und Erholung brauchen. Dann können wir darüber reden, wie und wann wir dann an die Lebensmittel kommen, die wir benötigen. Und welches Bedürfnis von PartnerIn wird erfüllt, wenn wir Einkaufen fahren? Ist es vielleicht das nach Unterstützung und gemeinsam getragener Verantwortung in der Gemeinschaft? Dann wird es vielleicht eine andere Sache geben, mit der wir PartnerIn unterstützen können.

Und für das andere Beispiel, den Unternehmenskontext, was heißt es da?

Es ist ein sehr umfassendes Thema. Doch für mich läuft es darauf hinaus, dass Veränderungen in Unternehmen immer nur dann erfolgreich sein können, wenn die Mitarbeiter darauf vertrauen können, dass ihre Bedürfnisse genauso berücksichtigt werden. There is no WE without the I’s – es gibt kein WIR ohne die ICHs. Das bedeutet für die Führungskraft, den Mitarbeitern wirklich zu zu hören und sie mit ihren Zweifeln, Sorgen und Nöten ernst zu nehmen. Sie zu fragen, was sie brauchen. Und sie dann in das Finden und die Gestaltung der Lösungen mit einzubeziehen und ihnen keine vorgefertigten Lösungen vorzusetzen. Jede Lösung, die die Führungskraft den Mitarbeitern vorsetzt, muss von diesen angezweifelt werden, wenn sie in der Vergangenheit nicht darauf vertrauen konnten, dass sie Berücksichtigung finden. Jede vorgesetzte Lösung ist keine Lösung, an welcher Mitarbeiter aktiv beteiligt waren. Sie können dann gar nicht vertrauen – wo jeder Veränderungsprozess sowieso mit Unsicherheit und Ängsten besetzt ist und ihre Perspektive nicht gefragt war.

Jede Lösungsfindung, in welcher Mitarbeiter aktiv mit einbezogen werden, erfüllt Bedürfnisse nach Einflussnahme, Mitgestalten, Wertschätzung, Akzeptanz. Und diese Lösungen sind nachhaltiger. Denn in diese Lösungen fließt immer auch die Lösung der Probleme aus Mitarbeiterperspektive mit ein – eine Perspektive, die eine Führungskraft gar nicht haben kann. Wenn sie als Führungskraft glauben, sie wissen allein wie eine Veränderung auszusehen hat, spielen sie Gott und glauben sich allmächtig. Es ist natürlich immer leicht, am Ende zu behaupten, dass die Veränderung dann deshalb nicht erfolgreich war, weil sie rein technisch nicht richtig umgesetzt war – eben nicht nach ihren Vorstellungen. Doch das sind nur ihre Vorstellungen. Das Scheitern passiert an einer anderen Stelle.

Geben sie sich als Führungskraft die Chance, erfolgreich zu sein. Das können sie nur, wenn sie ihre Mitarbeiter ehrlich mit einbeziehen und die Intelligenz der Mehrheit nutzen. Das wird ihnen nur dann gelingen, wenn sie die Mitarbeiter ermutigen, aufrichtig zu sein. Ob sie als Führungskraft das zulassen, erkennen sie an ihren eigenen Reaktionen auf das NEIN der Mitarbeiter. Ist das NEIN der Mitarbeiter für sie der Einstieg zum Dialog, dann haben sie wohl schon viel richtig gemacht. Ansonsten werden sie mittel- und langfristig zu den Verlierern gehören.

Dies ist ein weiterer Artikel der Serie „Schlüsselunterscheidungen der GFK“. Dieses Mal zum Thema Bitten vrs. Forderungen. Die Serie wird fortgesetzt.

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