Gewaltfreie Kommunikation, Coaching, Mediation in Hamburg.

Die Schönheit der Traurigkeit

Neulich war ich in einer Situation, in der mich die Traurigkeit packte. Es ging in dieser Situation um einen Gruppenbildungsprozess und ich erlebte, wie Menschen ausgegrenzt, herabgesetzt und bewertet wurden. Ich empfand in diesem Moment die absolute Ohnmächtigkeit, weil ich mich außerstande sah, diesen „Gruppenbildungsprozess“ zu beeinflussen. Und ich war unendlich traurig und fühlte einen Schmerz, als ich erleben mußte, wie Menschen sich dieser Gruppe nicht mehr zugehörig fühlten.
Früher hätte ich in solchen Situationen sicherlich gern formuliert „ich bin traurig, weil jemand dies und das getan hat“. Damit hätte ich dann die Verantwortung für meine Traurigkeit abgegeben, hätte behauptet das Verhalten eines anderen sei „Schuld“ dafür, wie es mir geht. Doch das möchte ich nicht mehr machen, ich möchte dafür, wie es mir geht, selbst Verantwortung übernehmen. Nur so sehe ich eine echte Handlungsmöglichkeit für Veränderung. Seit einiger Zeit gehe ich also mit solchen Situationen, in denen ich mich nicht gut fühle, anders um. Ich spüre nach, was ich eigentlich bräuchte, um mich wieder gut zu fühlen. Oder, um im Jargon der gewaltfreien Kommunikation zu sprechen (ich fühle weil ich brauche): ich versuche zu identifizieren, welches meiner Bedürfnisse gerade nicht erfüllt ist. Meist sind das dann sogar mehr als ein Bedürfnis, was zu kurz kommt und sich gerade so massiv meldet. Konkret in der beschriebenen Situation habe ich geschaut, was ich gebraucht hätte, um nicht traurig, sondern um mich froh und verbunden zu fühlen. Um die Frage kurz zu beantworten: in dem Fall ging es mir um eine unterstützende Gemeinschaft, in der die Gleichwertigkeit eines jeden beteiligten Menschen geschätzt würde. Eine Gemeinschaft, in der erkannt wird, dass jeder der Beteiligten seinen individuellen, ganz eigenen und ganz individuell wichtigen und schönen Beitrag zu dieser Gemeinschaft leistet. Ich hätte mir auch gewünscht, dass in der Situation jeder der Beteiligten so hätte gelassen werden können, wie er ist. Und das der Wert und der Beitrag eines jeden gleichermaßen geschätzt wird. Sicherlich hätte ich auch Empathie gebraucht und die Sicherheit, dass für jeden der Beteiligten gut gesorgt ist.

In meiner Traurigkeit (die relativ lange andauerte und nicht nach 20 Sekunden vorbei war) habe ich mich dann wirklich damit verbunden, was ich in der Situation gebraucht hätte. Ich habe also in mich hineingespürt und mich ganz mit den Bedürfnissen verbunden, die in der Situation nicht erfüllt waren. Dabei passierte dann etwas wundervolles: während ich mich also mit den Lebensqualitäten einer unterstützenden Gemeinschaft, der Wertschätzung, der Individualität und dem Sein-dürfen verbunden hatte, was ich ja so schmerzlich vermisst hatte, verschwand diese große Intensität der Traurigkeit! Mir wurde klar, dass ich über die unerfüllten Bedürfnisse nur deshalb so traurig sein konnte, weil ich genau wusste, wie wunderbar es sich eben anfühlt, wenn diese Lebensqualitäten vorhanden und voll und ganz erfüllt sind. Und ich war in der Lage, in die Schönheit der eben benannten Lebensqualitäten einzutauchen und sie wirklich zu genießen! Natürlich blieb immer noch ein bisschen Traurigkeit, weil in der konkreten Situation eben nicht das passiert war, was ich gern gehabt hätte. Doch mein Schmerz darüber war weg. Für mich ist das auch eine sehr schöne Form von Selbstempathie gewesen. Mit Selbstempathie meine ich das liebevolle und achtsame hineinspüren in mich selbst und das Verbinden mit den Bedürfnissen oder Lebensqualitäten, die ich vermisse.
Für mich heißt das auch, dass wir nicht nur mit unseren Bedürfnissen verbunden sein können, wenn sie erfüllt sind. Sondern wir können uns auch dann mit unseren Bedürfnissen verbinden, wenn wir sie schmerzlich und traurig vermissen. Die Fähigkeit traurig zu sein über unerfüllte Lebensqualitäten ist für mich auch eine Möglichkeit, in die Schönheit der Bedürfnisse einzutauchen.
Auch wenn mir natürlich immer noch lieber ist, wenn die Bedürfnisse erfüllt werden.


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