Gewaltfreie Kommunikation, Coaching, Mediation in Hamburg.

Angst – eine Annäherung

Oder: ich möchte lieber mutig sein

(c) Christel Sohnemann

Angst. Was macht das Wort mit Ihnen? Ich merke beim Schreiben des Artikels gerade, dass mich allein das Wort schon hemmt. Unfrei macht. Den Anfang nicht finden lässt. Was ist das mit der Angst?  Habe ich sie? Hat sie mich?

Angst ist sehr alt

Angst selbst ist im ältesten Teil unseres Gehirns lokalisiert. D.h. wenn wir ängstlich sind, dann reagiert ein Teil unseres Hirns, welcher viele viele tausend Jahre alt ist. Wir reagieren, wenn wir in Angst sind, unterbewusst: wir nehmen erst viel später – wenn überhaupt – wahr, dass wir in Angst gehandelt haben. Das Gefühl der Angst sorgt dafür, dass wir unser Bedürfnis nach Schutz wahrnehmen, dass wir Schutz suchen – dafür hat sich die Angst in der Evolution entwickelt. Und unser Handeln in Angst kennt 3 typische Verhaltensmuster. Im englischen nennt man es fight, flight, freeze; zu deutsch: Angriff, abhauen, tot stellen. Diese 3 Verhalten haben sich vor etlichen tausend Jahren durchaus bewährt. Bei Reptilien kann man es heute noch gut beobachten; Reptilien sind auf der Evolutionsskala sehr alte Tiere und zeigen bei akuter Gefahr genau eines der 3 Muster. Man merkt da schon: Angst ist existenziell und geht es ums Überleben. Als evolutionsmäßig weiter entwickelte Wirbeltiere hat der Mensch viele Varianten des Angriff, Abhauen, Totstellen entwickelt: wir werden z.B. wütend und schimpfen oder wenden irgendeine andere Form von Gewalt an; wir weichen den Dingen durch Ablenkungsmanöver aus (die Möglichkeiten dazu sind heutzutage endlos, man denke nur an die Unterhaltungsindustrie oder den Konsumzwang) oder wir tun so, als sei nichts passiert oder betäuben uns z.B. durch Viel-Essen. Fest steht: Bei Angst schaltet unser Hirn nicht mehr durch ans Bewußtsein und an evolutionstechnisch jüngere Teile des Gehirns – bei Angst wird nur noch reagiert und wir erkennen, wenn wir wirklich in Angst handeln, keine Wahlmöglichkeit mehr.

In meinem Handeln keine Wahlmöglichkeit mehr zu sehen heißt für mich in Unfreiheit zu sein. Angst bedeutet damit die Abwesenheit von Freiheit.

Ursache und Auslöser der Angst

Mir hilft es, ganz klar zwischen Ursache und Auslöser der Angst zu unterscheiden. Der Auslöser für eine aktuell erlebte Angst kann eine Begebenheit sein, die gerade passiert ist: ein Auto, was schnell vorbei rast; meine Arbeitsgruppe welche mich nicht einlädt obgleich ich mich mit dem selben Thema beschäftige; ein ungelöster Konflikt dem ich ausweiche, und und und. Auslöser bedeutet also: jetzt gerade ist etwas passiert. Die Ursache meiner Angst ist es nicht – in den allermeisten Fällen ist die Ursache meiner Angst mein Denken. Dieses Denken mag bewusst geschehen oder unbewusst, das ist gleichgültig. Doch es ist mein Denken (das Auto hätte mich anfahren können; ich könnte aus einer Gruppe ausgeschlossen werden; der Konflikt ist so schlimm dass ich nicht für mich sorgen kann und untergehen werde), welches die Angst auslöst. Die passende Frage bei erlebter Angst ist also: ist es wirklich lebensbedrohlich? Und wenn ja: ist das wirklich wahr? Woher weiß ich, dass es wahr ist?

Ich will dazu ein Beispiel nennen. Viele Menschen erleben eine Form von Angst, wenn sie befürchten ihre Zugehörigkeit und Gemeinschaft zu anderen Menschen zu verlieren. Vielleicht stellen wir uns Emma vor, Emma gehört zu einer Gruppe von Menschen, die sich regelmäßig trifft um gemeinsam abends ins Theater oder Konzert zu gehen. Nun geschieht es, dass die Gruppe von Menschen sich 3 Mal trifft und das Theater besucht und Emma nicht dazu eingeladen hat. Solange Emma nichts davon weiß, wird sie keine Angst erleben. Heißt: die passierte Begebenheit führt nicht zu einer Reaktion von Emma. Sobald Emma jedoch erfährt, dass die Gruppe sich 3 Mal getroffen hat und ihr nicht Bescheid gesagt hat, wird Emma entweder stinkewütend (Angriff) oder sehr traurig oder ängstlich. Die gedachte Gefahr in Emmas Kopf ist, wie auch immer Emma sich fühlt: Ausschluss. Ich gehöre nicht mehr dazu. Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft ist nicht mehr erfüllt. Der Gedanke ist dann die Ursache für ihr Erleben; der Auslöser ist das, was im außen passiert ist.

Lebensbedrohliches aus unserer Vergangenheit

Es gibt nun einige Bedürfnisse, die in unserer eigenen Geschichte, in unserem eigenen Leben zu einer gewissen Zeit elementar waren. Sie waren so wichtig, dass – wären sie nicht erfüllt worden – unser Überleben nicht gesichert gewesen wäre. Dazu gehört natürlich Luft, Wasser, Nahrung. Aber auch Zugehörigkeit, Kontakt, Gemeinschaft. Wenn wir als kleine Babies auf die Welt kommen, brauchen wir andere Menschen, sonst würden wir sterben. Dieser Wunsch, die eben genannten Bedürfnisse erfüllt zu bekommen, ist sehr tief in uns verankert und manchmal haben wir vielleicht auch in unseren jungen Jahren Notsituationen erlebt, wo diese Bedürfnisse drohten in einen Mangel abzurutschen. Beispielsweise weil wir nicht so oft im Arm gehalten wurden, wie es gut für uns gewesen wäre. Dann kann es passieren, dass wir auch im späteren Alter, wenn wir längst allein für uns sorgen können, diese existenzielle Angst spüren können. Angst bedeutet also auch die Abwesenheit von Vertrauen darin, dass gut für meine Bedürfnisse gesorgt wird. Als Erwachsener bin ich für das Erfüllen meiner Bedürfnisse selbst verantwortlich.

Es kann also sehr lohnenswert sein, sich einmal auf eine eigene emotionale Forschungsreise zu begeben und genau zu schauen: was sind die Ursachen meiner Angst. Was genau glaube ich, sind die Bedürfnisse, die nicht mehr erfüllt sein werden – was dann zu einer vermeintlichen und unterbewusst gedachten Lebensbedrohung führt? Ist es Zugehörigkeit, Kontakt, Fürsorge, Liebe? Oder ist es Autonomie, Selbstbestimmtheit, Freiheit, körperliche Unversehrtheit? Vielleicht etwas völlig anderes? Die wirklichen Ursachen unserer Angst haben immer etwas mit unserer ganz persönlichen Vergangenheit zu tun. Sich der eigenen Angst zu stellen und sie zu erforschen ist auch ein Stück eigene Heilungsarbeit.

Wie können wir produktiv mit unserer Angst umgehen?

Ich schlage dazu einen vierten Weg vor als Alternative zu fight, flight, freeze. Dieser vierte Weg heißt, mit ganz kleinen Schritte, Stückchen für Stückchen mich in die Angst hinein zu begeben und immer wieder zu schauen: ist es lebensbedrohlich? Kann ich noch handeln? Sehe ich noch Alternativen für mein Handeln? Der vierte Weg ist also: mutig sein. Mutig sein bedeutet, Klarheit über die eigene Angst zu haben und sich bewußt in sie hinein zu begeben. Und so ganz langsam und mit der Zeit erlernen, dass meine Angst vor diesem Auslöser unbegründet ist. Das setzt ein sehr bewußtes Handeln voraus und eine große Achtsamkeit mit sich selbst. Ich schlage auch vor, ein persönliches Frühwarnsystem für die eigene Angst zu entwickeln. Damit meine ich, die Ursachen der eigenen Angst zu erforschen und aufmerksam sich selbst zu beobachten, ob der Körper irgend etwas wahrnimmt, was angstauslösend sein könnte. Dazu beobachte ich z.B. die eigenen Körperempfindungen und Gefühle und versuche schon die kleinsten Anzeichen sehr sehr ernst zu nehmen. Und wenn mein Frühwarnsystem sich meldet, dann schaue ich, welche Handlungsmöglichkeiten ich jetzt in dem Augenblick habe, um meine Freiheit zu erhalten und nicht ohnmächtig zu werden. Ein Beispiel dazu: neulich war ich besorgt, dass ich den Kontakt zu Menschen, die mir sehr wichtig sind, verlieren werde. Der Auslöser war, dass ich zwischen diesen Menschen und anderen Personen einen Konflikt wahrgenommen hatte und ich befürchtete, zwischen die Mühlsteine zu geraten. Bei mir wurde Angst ausgelöst. Als ich das merkte, habe ich versucht meine Handlungsfreiheit zu wahren, indem ich meine Befürchtungen thematisiert habe und angesprochen habe, was mich ängstigt und was mir wichtig ist. Damit bin ich handlungsfähig geblieben und habe den Teil der Verantwortung für Kontakt und Verbindung, den ich selbst übernehmen konnte, auch getragen und den Teil, den ich nicht selbst tragen konnte, abgeben an die Stelle wohin es gehört. Und ich habe das Thema ausgesprochen und bei anderen Leuten Bewußtsein dafür geweckt – und damit kann ich es zu jedem späteren Zeitpunkt wieder thematisieren und darauf zurück kommen. Früher hätte ich in solchen Situationen anders gehandelt: nämlich gar nicht. Ich hätte so lange gezögert etwas zu unternehmen und mich meiner Ohnmacht gefügt, bis es endgültig zu spät gewesen wäre zu handeln.

Wozu ich mein Angst-Frühwarnsystem auf keinen Fall nutzen möchte ist, der Angst auszuweichen und mich zurück zu ziehen. Das ist dann der Moment der totalen Unfreiheit. Dann hat die Angst mich und nicht mehr umgekehrt. Und dann wird es sehr sehr schwierig, wieder in die eigene Handlungsfähigkeit zukommen.


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