Wenn ich als CEO die Mitarbeiter motivieren möchte ehrlich zu sein, ist es ein erster Schritt, dass sie zu mir auch NEIN sagen. (Miki Kashtan)
Ich habe lange Zeit geglaubt, ehrlich zu sein bedeutet, immer ehrlich alles das zu sagen was ich denke – über eine Situation, über etwas, was jemand anderes getan hat oder über eine andere Person oder ihre Handlung. Diese Form von Ehrlichkeit hat mich oftmals in ziemliche Schwierigkeiten gebracht. Wie kommt das?
Was passiert, wenn wir unsere Gedanken ehrlich nennen?
Meine Gedanken sind zunächst einmal meine Gedanken – und mein Kopf ist völlig frei, sich alles zusammen zu denken, was er möchte. Der Realitätsgehalt der Gedanken ist irgendwo auf einer Skala von 0 bis 100%. Bei solchen Gedanken wie z.B. „fliegende Blümchenteppiche besetzt mit rosaroten Kamelen die Mundharmonika spielen“ ist es noch ziemlich klar, dass der Realitätsgehalt solch eines Gedanken relativ gering ist, es ist nur ein Gedankenspiel. Problematischer wird die Sache, wenn ich Sachen denke, wie z.B. „Fritzchen Krause ist ein Blödmann, der ist zu dumm um Brot zu kaufen“. Wenn ich also darüber nachdenke, wie ein Mensch, eine Situation, eine Handlung IST und ich eine Bewertung darüber habe. Für diese Art von Gedanken gibt es keinen messbaren Realitätsgehalt. Tatsächlich sind die allermeisten unserer Gedanken genau solche, deren Realitätsgehalt wir nicht überprüft haben oder nur glauben, ihn überprüft zu haben. Wie beginnen dann jedoch oftmals selbst zu glauben, was wir da denken und wir vergessen dabei, dass wir nur eine sehr begrenzte Sicht auf die Dinge haben. Wir sehen immer nur einen Ausschnitt und haben selten die gesammte Breite dessen durchdrungen, um was es da alles geht. Wenn wir dann diese Gedanken aussprechen, können – grob gesprochen – 2 Dinge passieren: uns wird glauben geschenkt (ungünstiger Fall) oder auch nicht (günstiger Fall). Im Falle von Fritzchen Krause (Beispiel oben) könnte also jemand, der unseren Gedanken hört, daraus schließen, dass es stimmt, dass Fritzchen Krause nicht so helle ist und intellektuell nicht in der Lage ist, Brot zu kaufen. Das ist der Moment, in dem unsere Gedanken zu „Tatsachen“ werden, die sich in Windeseile verbreiten. So entstehen aus Gedanken Gerüchte und aus Gerüchten „Tatsachen“. Das fatale daran ist, dass diese vermeintlichen Tatsachen oftmals nicht mehr überprüft werden und sich festsetzen. (Nun hoffe ich, keiner meiner Leser heißt Fritzchen Krause. Und wenn doch, dann möge er statt dessen Lieschen Müller lesen oder auch Hänschen Klein).
Der erste Schritt, den wir unternehmen können um uns klar zu machen, dass es nur (bewertende) Gedanken sind, die nicht die Realität vollständig abbilden, ist, uns zunächst einmal bewußt zu machen, dass das, was wir denken, nur ein Gedanke ist. Wir können uns sagen „ich sage mir selbst, dass….“ (Fritzchen Krause ein Blödmann ist). Es ist die erste Möglichkeit, die wir haben, zu unseren eigenen Bewertungen Distanz aufzubauen und ihnen weniger Glauben zu schenken. Wir können uns bewußt machen, dass wir die Dinge denken. Probieren Sie es einmal aus, indem Sie genau diesen Satzanfang vor einen Gedanken stellen: Ich sage mir selbst, dass es in Hamburg so viel regnet. Ich sage mir selbst, dass ich mich immer an die langsamste Supermarktkasse anstelle. Ich sage mir selbst, dass ich nicht schlau genug bin um dieses Thema zu verstehen. Ich sage mir selbst, dass XY ein schlechter/guter/launischer/geselliger/… Mensch ist. Das sind nur einige mögliche Beispiele von bewertenden Gedanken. Wir können diesen Gedanken glauben schenken – doch wir müssen das nicht tun. Wir können uns zumindest selbst einladen vorsichtig sein.
Ehrlichkeit in der gewaltfreien Kommunikation
Und es gibt eine andere Form von Ehrlichkeit, über die ich hier sprechen möchte. Es ist für mich inzwischen die einzige Form von Ehrlichkeit, die ich wählen möchte (und was mir leider auch nicht immer gelingt). Es ist die Ehrlichkeit, wo wir aussprechen, wie es uns jetzt gerade in diesem Augenblick geht – wie wir uns fühlen und welche unserer Bedürfnisse gerade erfüllt oder nicht erfüllt sind. Was wir in diesem Augenblick fühlen ist real – es ist von uns in uns wahrnehmbar und es ist nicht zu leugnen. Unser Körper bildet diese Gefühle ab. Welche unserer Bedürfnisse in diesem Augenblick gerade im Minus oder im Plus sind, ist auch von uns real erkennbar – und es kann von niemand anderem abgestritten werden. Diese Form von Ehrlichkeit – aufrichtig sagen wie es mir jetzt gerade geht und was ich brauche – ist eine Ehrlichkeit, die sehr viel Mut verlangt.
Es erfordert zunächst einmal den Mut, genau bei sich hinzuspüren, genau zu erforschen wir es denn jetzt gerade geht. Das kann bedeuten sich selbst evtl. damit zu konfrontieren, dass man schon eine ganze Weile nicht gut auf sich Acht gegeben hat und nicht gut für sich und die eigenen Bedürfnisse gesorgt hat. Das kann dazu führen, dass dann erst recht Gefühle auftauchen, die unangenehm sind (und die uns dankenswerter Weise auf unerfüllte Bedürfnisse hinweisen). Dann erfordert es den Mut, genau dies zu akzeptieren und anzunehmen als Teil seiner selbst. (Was übrigens ein wichtiger Schritt ist, um dann für bewußte Veränderung zu sorgen).
Sind wir mutig genug, ehrlich bei uns hinzuschauen wie es uns geht und was wir brauchen, dann kommt der nächste Schritt, der noch einmal sehr viel mehr Mut braucht: genau das, was wir gerade über uns erfahren haben auch auszusprechen. Zu sagen, wie es uns geht, bedeutet, dass wir uns in unserer ganzen Verletzlichkeit zeigen. Das ist ein riesengroßer Schritt und nicht immer haben wir genügend Kraft, diesen Schritt zu gehen. Wenn ich z.B. sehr verunsichert bin und vielleicht Klarheit und Offenheit benötigen, dann kann es sehr schwierig sein, ehrlich zu sagen, dass ich unsicher bin – denn es könnte sein, dass ich Angst davor habe, dass jemand glaubt (!), ich sei schwach oder nicht belastbar. Ich bin dann also nicht ehrlich, weil ich Angst vor Urteilen und deren Folgen habe. Vielleicht bin ich aber auch nicht ehrlich, weil ich Angst davor habe, dass ich mit der Reaktion der anderen auf meine Ehrlichkeit nicht umgehen kann. Vielleicht bin ich auch nicht ehrlich, weil ich glaube es könnte jemand verletzt sein, wenn ich sage, wie es mir geht, weil er eine Beschuldigung versteht. Für mich sind das nachvollziehbare Gründe, sich gegen eine Ehrlichkeit zu entscheiden. Mich erinnert das an einen Satz, den ich einmal von Gerhard Rothhaupt in einem Seminar gehört habe: „Ehrlichkeit ohne Liebe ist Grausamkeit“. Diese Form von Ehrlichkeit braucht also noch etwas weiteres – das Interesse am Wohlergehen des anderen und die Einladung an die Person, welche ich mit meiner Ehrlichkeit konfrontiere, genauso ehrlich zu sein. Es braucht auch die Bereitschaft, der empfangenden Person zuzuhören und sich mit der Reaktion des Empfängers auseinander zu setzen. Es braucht die Bereitschaft zur Empathie mit dem Empfänger der eigenen Ehrlichkeit.
Was aber kann ich tun, wenn meine eigene Verletzlichkeit so groß ist, dass es mir nicht möglich ist, ehrlich zu sagen wie es mir geht und was ich brauche? Dann habe ich zumindest die Möglichkeit, ehrlich damit da zu sein. Ich kann, wenn Ehrlichkeit notwendig ist, sagen, dass ich gern ehrlich wäre, doch dass meine eigene Verletzlichkeit es mir gerade nicht möglich macht, ehrlich zu sein und zu sagen, wie es mir geht und was ich brauche. Ich kann sagen, dass ich mich gerade schützen möchte. Ich kann mir eine Auszeit nehmen um in einer Zeit der Stille eine größere Klarheit über das, was gerade mit mir los ist, zu erlangen. Ich kann meinem Gegenüber sagen, dass ich noch Zeit zum Nachspüren benötige und später antworten werde, weil ich nicht urteilen möchte. Ich kann sagen, dass ich noch nicht genügend Vertrauen habe, um jetzt ehrlich zu sein. Und es gibt noch viele weitere Möglichkeiten.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gelebte Aufrichtigkeit für Veränderung sorgt. Ich stelle immer öfter fest, dass meine eigene Ehrlichkeit dazu führt, dass Menschen berührt werden durch das, was ich von mir Preis gebe und zeige. Und dass genau diese Menschen dann viel leichter den Mut fassen, ebenfalls ehrlich zu sein, sich zu zeigen mit dem, was gerade in ihnen lebendig ist. Ehrlichkeit steckt an, sich in der eigenen Verletzlichkeit zu zeigen lädt oftmals andere Personen dazu ein, das auch zu tun.
Für mich ist das die einzige Möglichkeit wirklich für Veränderung zu sorgen. Das, was in mir los ist (was ich also empfinde und brauche), ist in dem Moment vermutlich etwas anderes als es bei anderen Personen ist. Ehrlichkeit zu zeigen heißt auch, sich in seiner Einzigartigkeit zu zeigen. Das, was eine einzelne Person in dem Augenblick empfindet, empfindet sie auch aufgrund ihrer Erfahrungen und ihrer Hintergründe. Es ist absolut individuell. Das zu zeigen und sichtbar zu machen, ist für mich eine Bereicherung. Es ermöglicht uns, voneinander zu lernen und wirklich zu schauen, was jedeR einzelne braucht um dann nach Lösungen zu suchen, die für möglichst viele (für alle?) passend sind.
Dies ist der erste Artikel einer Serie von Texten über die sogenannten Schlüsselunterscheidungen der Gewaltfreien Kommunikation. Die Reihe wird fortgesetzt.
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