Ein sicherer Weg, einen Menschen ärgerlich zu machen, ihn richtig wütend werden zu lassen oder ihn gar zur Aggression zu verleiten, ist es, ihm körperliche Schmerzen zuzufügen. In dem Moment, wo wir die Schmerzzentren unseres Gegenübers reizen, ist eine völlig natürliche (und sehr zuverlässige) Antwort die Aggression und sie wird auch nicht lange auf sich warten lassen. Eine relative junge und sehr wichtige Entdeckung der modernen Hirnforschung ist die Beobachtung, dass im Gehirn die gleichen Regionen, die auch reagieren, wenn wir einem Menschen körperliche Schmerzen zufügen, dass also diese Regionen auch reagieren, wenn wir einen Menschen sozial ausgrenzen. Nachzulesen ist das u.a. bei Prof. Joachim Bauer. Das bedeutet: Menschen, die soziale Ausgegrenztheit erleben verhalten sich ganz genauso wie Menschen, denen physische Gewalt angetan wird. Es macht keinen Unterschied.
Was bedeutet das für unsere Arbeitsplätze und unser Miteinander?
Um die Bedeutung dessen zu verstehen, braucht es vielleicht zunächst einmal ein Verstehen, wann Menschen soziale Ausgegrenztheit erleben. Entscheidend ist hier übrigens das Erleben der sozialen Ausgegrenztheit, sei das Erleben nun bewußt oder unbewußt. Ob eine Person jemand anderen wirklich ausgrenzen will oder nicht, ist zunächst einmal für das erste Erleben nicht entscheidend, wird aber im weiteren Verlauf für die erlebende Person von zunehmender Bedeutung. Wichtig ist auch zu wissen, dass soziale Ausgegrenztheit nicht zwangsläufig erlebt werden muss. Es ist von Person zu Person unterschiedlich und hat natürlich immer etwas mit der individuellen Geschichte zu tun. Es ist auch nicht „krank“ oder „unnormal“ oder „falsch“, wenn eine Person es so erlebt. Es ist einfach so wie es ist. Wichtig ist allein, eine Bewußtheit dafür zu haben, dass es so erlebt werden kann und dass das nicht sehr unwahrscheinlich ist. Wichtig ist es auch für ein Verstehen, wie es zu Ärger, Wut und Aggression am Arbeitsplatz kommen kann.
Soziale Ausgegrenztheit erleben wir natürlich in sehr offensichtlichen Situationen wie z.B. die Kollegengruppe geht gemeinsam Mittagessen und sagt uns nicht Bescheid. Es gibt eine wichtige Besprechung und man wird dazu nicht eingeladen. Nach Feierabend treffen sich einige zum Sport oder zum Feierabendbierchen und man selbst geht allein nach Haus oder sitzt während der Zeit noch allein im Büro. Wir erleben es auch, wenn Regeln nach denen verfahren wird, nicht transparent sind. So etwas alles ist wie gesagt offensichtlich.
Soziale Ausgegrenztheit erleben Menschen jedoch auch in weniger offensichtlichen Situationen. Sie kann von einem Mitarbeiter erlebt werden, wenn Informationen gar nicht, unvollständig oder unverständlich ankommen. Sie kann erlebt werden, wenn Entscheidungsprozesse nicht transparent sind, wenn Entscheidungen nicht kommuniziert werden, wenn Entscheidungsgründe nicht klar sind. Soziale Ausgegrenztheit kann erlebt werden, wenn notwendige Unterstützung fehlt und in Situationen der Überforderung. Soziale Ausgegrenztheit kann entstehen in jeder Situation, die durch ein „eben mal schnell machen“ erledigt wird und wenn dann anschließend nicht klar gemacht wird, wie es dazu kam. Und ich bin mir sicher, Ihnen, lieber Leser, fallen viele weitere Beispiele ein.
Soziale Ausgegrenztheit entsteht immer dann, wenn die Bedürfnisse von Personen nicht berücksichtigt werden. Und das „nicht-berücksichtigen“ meint nicht, dass sie immer erfüllt werden müssen. Es meint jedoch, dass sie zumindest gehört und verstanden werden. Und auch hier ist das Erleben desjenigen entscheidend, der da gehört und verstanden werden möchte. Es ist notwendig, dass die Person wirklich spürt, dass sie oder er zählt und verstanden wird. Meint: ein einfaches „ich hab dich verstanden“ reicht niemals aus, denn Worte sind Schall und Rauch. Es geht hier also um die Fähigkeit, Empathie zu geben für die Person, die da verstanden werden möchte.
Soziale Ausgegrenztheit einer Person zu vermeiden bedeutet dann, diese andere Person wirklich mit einzubeziehen. Es reicht nicht zu glauben und sich in einer Art Denksport zu überlegen, was die andere Person braucht und was ihr gut tun könnte – und dann vermutlich enttäuscht zu sein, wenn sie das gar nicht will. Es ist vielmehr dringend notwendig, diese Person zu fragen und sicher zu stellen, dass man sie wirklich verstanden hat. Das erfordert übrigens einen angstfreien Raum. In Situationen der Angst wird sich niemals jemand öffnen und seine Bedürfnisse mitteilen.
Diese Formen des Erlebens gilt übrigens für die Arbeitsplatzbeziehungen aller erdenklicher Ebenen: es gilt sowohl für die Beziehung von Kollegen untereinander, für die Beziehung von Vorgesetzten zu Mitarbeitern und auch für die Beziehung von Mitarbeitern zu Vorgesetzten. Das heißt insbesondere: in Situationen, in denen Mitarbeiter Eigeninitiative ergreifen und Selbstverantwortung übernehmen und Vorgesetzte nicht einbeziehen, können letztere Ausgrenzung erleben, was wiederum Angst auslösend ist und damit Ärgerverhalten hervorrufen kann.
Folgen sozialer Ausgegrenztheit
Wenn also, wie eingangs bereits geschrieben, das Erleben sozialer Ausgrenzung Ärger, Wut und Aggression hervorruft, bleibt zu schauen, was das wiederrum bedeutet für den Arbeitsplatz. Da ist zunächst einmal die geringe Qualität der Arbeitsergebnisse ansich. Jemand, der Dinge aus einem Ärger heraus tut, macht gerade mal das oder nur ganz knapp, was nötig ist, nie mehr. In der Regel sind diese Arbeitsergebnisse auch fehlerbehaftet, sie werden nicht mit der für sie notwendigen Bewußtheit und Gründlichkeit erarbeitet. Ärger und Aggression am Arbeitsplatz kann auch bedeuten, dass bewußt oder unbewußt Arbeitsaufgaben gar nicht erledigt werden. In solch einem Fall werden dann häufig Sanktionen angedroht oder ausgeführt, was die Gewaltspirale nach unten nur beschleunigt. Ärger und Aggression am Arbeitsplatz bedeutet auch mangelnde Interaktion und damit fehlende Kreativität, Innovation und Inspiration. Und zu guter Letzt heißt Dinge aus einem Ärger heraus zu tun, dass die Freude und Begeisterung am Handeln ansich völlig verloren geht. Sie alle werden vermutlich bereits festgestellt haben, was es für die Qualität und Quantität ihrer eigenen Arbeitsergebnisse bedeutet, wenn Sie sie aus einer Freude und Begeisterung heraus getan haben im Vergleich dazu, als wenn Sie sie aus einer Haltung des Ärgerns oder des „ich-muss-ja“ tun.
All das macht deutlich, von welcher außerordentlichen Bedeutung soziale Integration und soziale Ansprache und persönliche Akzeptanz am Arbeitsplatz ist. Der Mensch ist eben kein Produktionsmittel oder, wie es so furchtbar in der deutschen Übersetzung des englischen Fachbegriffes ist: der Mensch ist genau keine menschliche Ressource. Er ist ein soziales und interagierendes Wesen, das für seine bloße Existenz soziale Integration, Akzeptanz, Annahme und Interaktion benötigt.
Wie läßt sich nun soziale Integration am Arbeitsplatz gestalten, wenn sie so bedeutsam ist?
Das genauer auszuführen bedeutet vermutlich einen ganz eigenen neuen umfassenden Artikel in diesem Blog zu veröffentlichen. Der mag zu einem anderen Zeitpunkt geschrieben werden. Jetzt und hier soll dazu gesagt werden: es geht um die Ausgestaltung angstfreier Räume und Beziehungen. Es geht um Vertrauen und Aufrichtigkeit. Es geht ganz sicher um die Bedeutung von Empathie am Arbeitsplatz. Es geht darum, einander spüren zu lassen, dass die andere Person einem als Mensch wichtig und achtenswert ist, auch wenn ich nicht alle seine Handlungen und Sätze unterstütze und befürworte. Und nicht zuletzt geht es auch immer um Spiel und Leichtigkeit in der Zusammenarbeit.
Marshall Rosenberg, der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) hat einmal gesagt: versuche alle Dinge, die du tust, mit der gleichen Energie und Begeisterung zu tun, die ein dreijähriges Kind hat, wenn es Enten füttert. Unter GFK-Trainern wird dies häufig „Entenenergie“ genannt, ein kleiner Insider. Diese Energie der Lebensfreude und Leichtigkeit kann nur durch erlebte soziale Integration und Annahme entstehen. Und sie bedeutet immer, dass das, was dabei entsteht, gut wird.
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