Gewaltfreie Kommunikation, Coaching, Mediation in Hamburg.

Mensch oder Rolle?

(c) Christel Sohnemann

In vielen Seminar- und Coachingsituationen erlebe ich die Auseinandersetzung und die inneren Konflikte von Menschen mit ihren Rollen, die sie in einem Unternehmen, in einer Familie oder einer Gemeinschaft einnehmen. Oft beginnen Sätze mit „In meiner Rolle als…“; diese Sätze enden oft mit erwartet, muss oder sollte.
Auch ich erlebe das häufig: dann ist von der Rolle Trainerin, Coach, Angestellte, Kollegin, Schwester, Freundin die Rede und was diese Rolle alles macht, sagt oder auch wider erwarten nicht leistet und gemeint bin damit immer ich.
Für mich ist eine Rolle eine Anonymisierung des Menschen, der diese Rolle einnimmt. Eine Rolle hat keine Gefühle, eine Rolle ist nicht echt sondern aufgesetzt, eine Rolle ist künstlich geschaffen, sie ist nicht der lebendige Mensch, der diese Rolle spielt.
Wenn ich von einer Rolle spreche und sie vom Menschen dahinter löse, mache ich es mir sehr leicht. Ich brauche mich nicht mit Verletzlichkeiten, mit Gefühlen und Bedürfnissen des anderen auseinander setzen. Ich sehe lediglich die Rolle, führe Handlungen (eigene und die des anderen) auf eine Rolle zurück, blende den Menschen dahinter aus. Rollen machen es leicht zu labeln, zuzuschreiben, auszublenden, zu bewerten und zu analysieren. Rollen ermöglichen uns, Mitarbeiter zu entlassen und uns nicht mit den Menschen dahinter zu beschäftigen. Rollen lassen uns Funktionieren; sie lassen uns Forderungen stellen, Erwartungen äußern, Sachzwänge vorschieben und Urteile fällen. Wenn ich von Rollen spreche, schütze ich mich selbst: vor der eigenen Verletzbarkeit; schützte mich auch davor berührt zu werden von den Gefühlen des Gegenüber und was das wiederum mit mir machen wird; schütze mich auch vor eigenen Gefühlen wie z.B. auch Ohnmacht, Wut, Traurigkeit.
Wenn ich von Rollen spreche, nehme ich eine Verweigerungshaltung ein: ich weigere mich, den Menschen hinter der Rolle zu sehen, frage nicht nach den Beweggründen des Handelns, interessiere mich nicht für Motive, Verletzungen, Freude, Trauer, Schmerz und andere Formen menschlicher Begegnung.
Von Rollen zu sprechen bedeutet für mich, sich aus der menschlichen Verantwortung zu stehlen. „Ich habe aus meiner Rolle heraus gehandelt“ ist Amtssprache und frei davon, persönlich Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.
Ja, und ich kann mir auch solche Sätze vorstellen: so funktioniert unsere Gesellschaft / Unternehmen / Welt nun mal oder alle anderen machen das auch so, ich kann das nicht allein ändern oder wie soll das denn auch anders gehen.

Persönlicher Entschluß: ich will aus der Rolle fallen. Ich bin Mensch und will als solcher handeln; will einem jeden als solcher begegnen; will einen jeden als solchen betrachten. Mehr nicht. Und schon gar nicht weniger als das.


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